Trick 17: Polen schwänzt Wahl
Parlament billigt umstrittenes Briefwahl-Gesetz. Kein neuer Präsident vor Juli
Warschau. Auch ohne regulären Wahlkampf bleibt es in Polens Politik spannend. Nachdem sich die Regierungskoalition auf eine Verschiebung der für kommenden Sonntag vorgesehenen Präsidentschaftswahl verständigte, stimmte am Donnerstag in Warschau die erste Kammer des Parlaments einer Novelle des Wahlrechts zu. Die nationalkonservative Regierungspartei PiS möchte damit die Wahl des Staatsoberhaupts als reine Briefwahl ermöglichen. Der Sejm überstimmte den Senat, der das neue Wahlgesetz zuvor ablehnte.
Aufgeschoben ist nicht aufgehoben: Die Wahl wird nicht abgesagt, sondern nur nicht durchgeführt. Damit wird der Oberste Gerichtshof sie annullieren müssen. So wird dann der Weg für die Festsetzung eines neuen Termins frei. Laut Berichten polnischer Medien möchte die Regierung nun Mitte Juli wählen lassen. Vertreter der Opposition fordern weiterhin, die Wahl auf den Herbst zu verschieben. Sie kritisieren auch, dass PiS-Chef Jarosław Kaczyński und der Vorsitzende des kleineren Koalitionspartners Porozumienie, Jarosław Gowin, die taktische Lösung unter sich ausknobelten.
Die PiS hatte trotz des wegen der Corona-Epidemie verhängten Lockdowns bis zuletzt auf dem 10. Mai als Wahltermin beharrt. Damit wollte sie ihrem Kandidaten, dem amtierenden Staatschef Andrzej Duda, zur sicheren Wiederwahl verhelfen, bevor die Corona nachfolgende soziale und wirtschaftliche Krise in vollem Ausmaß spürbar wird. Kaczyńskis neuer Finte war ein Proteststurm vorausgegangen. Auch drei Ex-Präsidenten und sechs frühere Regierungschefs aus verschiedenen politischen Lagern hatten sich gegen die »Pseudo-Wahl« ausgesprochen. Eine Verschiebung bereits auf Juli und die Beschränkung auf eine Briefwahl dürften auch juristisch angefochten werden. nd/pst Seite 3
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