Grundrechte gelten auch für Pfleger

Covid-19 kann für jeden gefährlich sein - also auch für jene, die für andere ihr eigenes Leben aufs Spiel setzen

  • Beatrice Fischer
  • Lesedauer: 3 Min.

Wir treten in die nächste Phase der Pandemie ein: Die Agitation der Lockerungspläne ersetzt die Strategie im Kampf gegen ein momentan noch unberechenbares Virus. Die Masken fallen ganz offenkundig, die Ignoranz tritt offen zu Tage; Impfgegner, Corona-Leugner, Wirtschaftslobbyisten, alte und neue Nazis kommen dabei gewissermaßen auf eine Wellenlänge.

Für die Meisten von uns - der Wissenschaft sei Dank - ist es die erste Pandemie. Falls sich während dieser Gesundheitskrise jedoch eine Desinformationskrise auswächst, scheitert unsere Gesellschaft nicht an Möglichkeiten zur Forschung und Lehre, sondern wegen resultierender Rücksichtslosigkeit.

Bis zum 9. Mai 2020 verzeichnete die englische Organisation »Nursing Notes« auf ihrer Internetseite bereits 203 Covid-19-Opfer. Alle waren als Pfleger im medizinischen oder sozialen Dienst beschäftigt und hatten sich während ihrer Arbeit infiziert. Boris Johnson dürfte früher oder später wohl nicht umhinkommen, sich mit seiner Gleichgültigkeit gegenüber vorangegangenen Warnungen auseinanderzusetzen. Wenn Parlamentarier und Entscheider - also für das Wohlergehen der Bürger bevollmächtigte Personen - per bauchgefühltem Wissen Faktenskepsis erzeugen, wird Covid-19 für Menschen gefährlich, die natürlich ein Recht auf einen gesunden Lebensabend haben, gefährlich für Pfleger und Ärzte, die ihr eigenes Leben aufs Spiel setzen, gefährlich für jeden, der auf seine Mitmenschen vertrauen muss.

In einem Bericht über Tyson Foods, einer Fleischfabrik im amerikanischen Iowa, schreibt die »New York Times« am 10. Mai 2020, das Unternehmen habe Mitarbeiter zu Virus-Tests eingeladen, nachdem Trump die Wiederaufnahme der dortigen Produktion anordnete. Weil die Arbeiter sich jedoch vor dem Werk versammelten und die Treppen füllten, infizierten sich viele von ihnen mit Covid-19. Nur einige verließen den Testvorgang früher, da sie befürchteten, das Virus in der Warteschlange aufzunehmen. Eine Angestellte schluckte vor Betreten des Werks fiebersenkendes Tylenol, um ihre Temperatur soweit zu regulieren, dass ihr Fieber während der Messung vor Arbeitsbeginn nicht auffiel. Sie hatte Angst, sie müsse aufgrund eines Arbeitsausfalls auf ihren Bonus verzichten. Die Frau und offenbar 19 weitere ihrer Kollegen verstarben an der Infektion.

Die zunehmende Verweigerungshaltung gegenüber wissenschaftlicher Expertise könnte auch in Deutschland noch unabsehbare Opferzahlen zur Folge haben. Dass Wolfgang Kubicki als 68-jähriger FDP-Politiker tönt, »wer Angst hat, solle zu Hause bleiben«, macht ihn zum Risikofaktor; auch für Angestellte in Rettungs- oder Pflegeberufen. In Deutschland verstarben bislang mindestens sieben Mediziner und Pfleger an Covid-19.

Anlässlich des Internationalen Tages der Pflege am 12. Mai erklärt die Präsidentin des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe (DBfK), Christel Bienstein: »Die jetzt als systemrelevant gelobten professionell Pflegenden werden sich nicht länger mit prekären Arbeitsverträgen, mäßigen Arbeitsbedingungen, chronischer Überlastung, unterdurchschnittlicher Vergütung und grundsätzlichen Entscheidungen ohne ihre Beteiligung zufriedengeben. Pflegende könnten mit Stolz und Selbstbewusstsein auf ihre Leistung - nicht nur während der Pandemie - blicken und einen respektvollen Umgang erwarten.«

Wer als parlamentarischer Vertreter jetzt mit Desinformationen kokettiert und durch die Öffentlichkeit gockelt, missbilligt alle Protagonisten der Gesellschaft, medizinisches Personal aber ganz besonders. Vom Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit sind Mediziner, Sozialarbeiter und Pfleger nämlich selbstverständlich nicht ausgenommen.

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