Stacheldraht statt Girlanden

Verbieten bringt nichts: Die düstere Elektroband IC3PEAK aus Russland ist politischer geworden

  • Norma Schneider
  • Lesedauer: 5 Min.

Menschen mit blutroten Lippen, weiß geschminkten Gesichtern und in schwarzer Uniform mit Pionierhalstuch stehen im Halbkreis und spielen auf Blechtrommeln einen Marsch. Die verzerrte Kinderliedmelodie, die sie dazu singen, klingt nach Horrorfilm. Apathisch blicken sie geradeaus, ihre Trommeln werden durch Maschinengewehre ersetzt. Das Musikvideo zu »Marsch«, einem Song vom neuen Album der russischen Band IC3PEAK, bleibt ganz in ihrem Stil, den die Musiker Anastasija Kreslina und Nikolai Kostylew selbst als »audiovisuellen Terror« beschreiben. Gemeinsam machen sie seit 2014 experimentelle elektronische Musik mit Industrial- und Rap-Elementen. Die neue Veröffentlichung - »Do Swidanija« (»Auf Wiedersehen«) - ist ebenfalls alles andere als Wohlfühlmusik: Kreslinas schrille Stimme dringt durch kratzige Bässe, die Songs sind voller Brüche. Manchmal wirken sie harmonisch, um dann gleich wieder verzerrt zu klingen und mit dröhnenden Sirenen im Hintergrund Alarm zu schlagen. Tanzbar sind sie trotzdem. Ein Highlight ist der gemeinsam mit dem US-amerikanischen Metal-Rapper Ghostemane aufgenommene Track »Jama« (»Grube«).

Im Musikvideo zu »Marsch« folgen Schießübungen auf Smileys, Regenbögen und Kuscheltiere. Militarismus und Kriegsverherrlichung, wie sie in Russland an der Tagesordnung sind, werden zur Groteske verzerrt. Der Text drückt ein düsteres, hoffnungsloses Gefühl aus, mit dem sich nicht wenige junge Menschen in Russland identifizieren können: »Mit jedem Jahr wird die Luft stickiger / Statt Girlanden Stacheldraht / Jenseits der Zäune gibt es keinen Horizont / Wer ist da draußen, außer der Kälte? / Direkt vor dem Tor parkt ein Panzer / Er schießt nicht, er ist nur Show.«

Ende 2018 war es die Politik und nicht die Musik, die IC3PEAK einem breiteren Publikum außerhalb Russlands bekannt machte. Einige Konzerte der Band wurden abgesagt oder von den Sicherheitsbehörden unterbrochen, teilweise wurden Kreslina und Kostylew auch von der Polizei festgehalten. Das war nur ein kleiner Teil einer größeren Repressionswelle gegen Musiker*innen: Vor allem Rapper waren betroffen, unter ihnen Husky, mit dem IC3PEAK nun ein Lied aufgenommen haben. Die Bands wurden nie über die Gründe für die Konzertverbote und Maßnahmen informiert. Offiziell wurde auf den Jugendschutz verwiesen: Lieder über Drogen, Suizid und Sex seien gefährlich. Doch wahrscheinlich waren eher die gesellschaftskritischen Texte der Bands ausschlaggebend für die Repressionen.

Kreslina und Kostylew äußerten sich in den ersten Interviews nach den verhinderten Konzerten dennoch erstaunt darüber, dass sie ins Visier der Sicherheitsbehörden geraten sind, obwohl sie eine explizit politische Band seien und nur ein sehr kleiner Teil ihrer Kunst politisch relevant sei. Vermutlich war es aber das Video zum Song »Smerti bolsche njet« (»Es gibt keinen Tod mehr«), das die Aufmerksamkeit der Behörden auf sich zog. Auch hier findet man keine direkte Kritik oder einen Aufruf zu Protest und politischer Veränderung. Statt mit platten Parolen arbeiten IC3PEAK mit Metaphern und Anspielungen, ihre Texte sind angenehm uneindeutig. Die russische Realität wird in »Smerti bolsche njet« aber deutlich genug als hoffnungslose Tristesse gezeigt. Kreslina bringt die Perspektivlosigkeit vieler auf den Punkt: »Wie immer ist es kalt hier und die Menschen sind böse / In der Zukunft erwartet mich nichts.«

Es dürften vor allem auch die gegenüber den Symbolen der Macht als respektlos empfundenen Videosequenzen gewesen sein, deretwegen »Smerti bolsche njet« von einigen als Provokation gesehen wurde: Vor dem Sitz der Regierung der Russischen Föderation übergießt die Sängerin sich mit Benzin zu den Zeilen: »Ich spüle meine Augen mit Kerosin / Lass alles brennen, lass alles brennen / Ganz Russland schaut mir zu.« Am Ufer der Moskwa, direkt gegenüber dem Kreml, trinken die Bandmitglieder Blut aus Becherchen, auf dem Roten Platz vor dem Lenin-Mausoleum verspeisen sie rohes Fleisch und vor der Lubjanka, dem Sitz des Inlandsgeheimdienstes FSB, spielen sie, auf den Schultern von Polizisten sitzend, ein Klatschspiel.

Das Video hat bei Youtube mittlerweile über 40 Millionen Aufrufe - viel für eine russische Indie-Band. Ein User bedankt sich in den Kommentaren beim Inlandsgeheimdienst, der mit den Konzertverboten in Verbindung gebracht worden ist: »Danke, FSB, für die Empfehlung. Ihr habt einen tollen Geschmack, Jungs! Weiter so. Mit euch braucht man keine Werbung mehr.«

Wenn es Ziel der Verbote war, IC3PEAK unsichtbar zu machen, ist das gehörig nach hinten losgegangen. Die Repressionen haben die Popularität der Band enorm gesteigert und dazu beigetragen, ihre Fans zu politisieren. Entsprechend wurden in der Folge viele Stimmen laut, die behaupten, der Kreml habe den Kontakt zur jüngeren Generation und zu deren Kultur und Musik verloren. Präsident Wladimir Putin kündigte daher bei einer Pressekonferenz im Winter 2018 eine neue Strategie an: Statt Musik zu verbieten, soll sie »in die nötige Richtung geführt« werden.

Wie das in Zukunft bewerkstelligt werden wird und wie sich das Verhältnis zwischen der russischen Regierung und kritischen Künstler*innen und Subkulturen entwickelt, wird sich zeigen. Die geplanten Verfassungsänderungen weisen in die Richtung einer weiteren Verfestigung der Macht Putins, was keine Hoffnung auf einen liberaleren Umgang mit Gegenkulturen macht. Es wird aber mehr und mehr deutlich, dass die eingespielten Formen der Repression wie Verbote und Zensur unwirksam sind bei einer Generation, die sich statt im Staatsfernsehen im Internet informiert und nicht die Musik der Radiosender, sondern die unabhängiger Bands hört, die diese selbst bei Onlineplattformen hochladen.

IC3PEAK haben sich jedenfalls nicht davon aufhalten lassen. Einige der verhinderten Konzerte haben sie an geheimen Orten nachgeholt. Und die Vorfälle scheinen auch sie politisiert zu haben: Im März 2019 traten sie bei einer Kundgebung gegen den geplanten Aufbau eines »russischen Internets« auf, des »Runet«, eines vom internationalen Internet unabhängigen Netzes, das über staatliche Knotenpunkte läuft. Viele befürchten, dass dies der Zensur dienen soll. Im August unterstützten IC3PEAK eine Kundgebung für freie Kommunalwahlen in Moskau. Ganz so hoffnungslos wie manche ihrer Texte scheinen Kreslina und Kostylew doch nicht zu sein.

IC3PEAK: »Do Swidanija« (im Eigenverlag ). Im November soll die für April und Mai geplante Europatournee mit Konzerten u. a. in Berlin und Leipzig nachgeholt werden.

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