Gericht stellt Entmietung infrage

Richterin glaubt Behauptungen von Eigentümer eines Friedrichshainer Wohnhauses nicht

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.

»Endlich wird der Fall vor Gericht geklärt«, sagt Jens Keck. Vor über 13 Monaten musste er, der eigentlich anders heißt, seine Wohnung in der Friedrichshainer Colbestraße 35 räumen. Nur für ein paar Tage, sei ihm damals zugesichert worden, um auch seine Wohnung, wie das ganze Haus, umfassend zu sanieren (»nd« berichtete). Nun, am Montag, findet die Verhandlung schließlich vor dem Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg statt.

Es hat sich einiges angesammelt in der Zeit. Anträge auf »Mängelbeseitigung« in der Mietsache, die »Besitzeinräumung an der Wohnung« sowie die »Feststellung der Pflicht auf Schadenersatz«, wie es in schönstem Juristendeutsch heißt. So viel sei schon verraten: Am Ende der knapp einstündigen Verhandlung lässt die Richterin durchblicken, der Klage des Mieters bis auf einige Kleinigkeiten auf der langen Liste stattgeben zu wollen. Das Urteil wird allerdings erst in einigen Wochen verkündet werden.

Der Auftakt ist die Güteverhandlung. 50 000 Euro Entschädigung für Mieter Keck schlägt die Richterin dort vor. »Wir sind definitiv nicht mehr in der Lage, die Wohnung herauszugeben«, erklärt der Anwalt des umtriebigen Hauseigentümers, der persönlich erklärt, nicht namentlich im Artikel genannt werden zu wollen. Die Rechtsprechung deckt in den meisten Fällen dieses Ansinnen, solange es nicht um Prominente geht. Der Eigentümer hat in dem Haus, das baubedingt fast komplett leersteht, seine eigene Tochter ausgerechnet in die Wohnung von Jens Keck einquartiert und auch noch eine Eigenbedarfskündigung für die Wohnung nachgeschoben. Mehr als 40 000 Euro will er nicht geben, um das Verfahren vom Hals zu haben.

Das ist Keck zu wenig. Er ist seit April 2019 bei einem Bekannten untergekommen, dem Autor dieser Zeilen. Miete, Internet, Telefon, alle diese Kosten für die Wohnung, die er nicht nutzen kann, laufen weiter. Abertausende Euro sind so aufgelaufen. Allein schon der Stromverbrauch, den der Versorger über lange Zeit ihm zuordnete, ist extrem hoch. Nach seinen Berechnungen, er hatte mehrmals Zugang zum Stromzähler, wurden allein in den letzten Monaten 64 Euro pro Tag fällig.

»Absurd und grotesk« nennt Kecks Anwalt Simon Guang-Ming Kuo den Vortrag der Gegenseite. Denn diese hatte sich zurechtgelegt, dass der Mieter bereits am 8. April des Jahres 2019 einer Abfindung von 30 000 Euro für den Auszug aus der Wohnung zugestimmt haben soll. Schon vor der Vernehmung des Eigentümers zweifelt die Richterin diese Behauptung an. »Es ist nicht rechtmäßig gelaufen von Vermieterseite«, stellt sie fest.

Doch zu der Sache, wie es denn genau zu dieser Vereinbarung gekommen sein soll, kann der Hausbesitzer nichts sagen. Es sei ja schon über ein Jahr her. »Der Kläger hat sämtliche Gegenstände aus der Wohnung geräumt und in andere Räume verbracht«, erklärt er schließlich auf die Frage seines eigenen Anwalts. »Er hat sie in die gegenüberliegende Wohnung geräumt und zum Teil auch in den Keller«, erklärt er weiter. Warum ein Mieter, der bereit gewesen sein soll, auszuziehen, so gehandelt haben soll, kann der Hausbesitzer nicht erklären. Das liege daran, dass nicht er, sondern der Bauleiter sich darum gekümmert habe.

Keck stellt klar, dass Kühlschrank, Waschmaschine und ein fest eingebautes Bett in der Wohnung verblieben sind. »Ich bin nicht wirklich davon überzeugt, dass eine Vereinbarung getroffen wurde«, so die Richterin. Zumal es mehrere Ankündigungen einer baldigen Fertigstellung der Wohnung per E-Mail gegeben habe. Mitte Oktober 2019 hatte der Eigentümer so auch auf eine Anfrage von »nd« geantwortet.

Angesichts des zerrütteten Mietverhältnisses will Jens Keck nicht in die Wohnung zurück. »Aber einfach so davonkommen lassen will ich den Eigentümer auch nicht«, sagt er zu »nd«.

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