Mit der Ein-Stunden-Regel gegen »Terror«

Umstrittenes Gesetz wird zwischen Europaparlament, Regierungen und EU-Kommission derzeit beraten

  • Lesedauer: 4 Min.

Brüssel. Tipps für den Bombenbau, Anschlag-Videos und Propaganda zum Rekrutieren neuer Mitstreiter: Dass terroristische Inhalte im Internet ein Problem darstellen, ist klar. Über das Gegenmittel wird gestritten. In Brüssel beraten Europaparlament, Regierungen und EU-Kommission ein neues Gesetz. Kritiker glauben, es bedrohe die Meinungsfreiheit.

»Insbesondere in den ersten Stunden einer Veröffentlichung entfachen terroristische Inhalte ihre größte Wirkung«, erklärt die Europaabgeordnete Monika Hohlmeier (CSU). Deshalb müsse schnell gehandelt werden. Das Herzstück der geplanten Verordnung »zur Verhinderung der Verbreitung terroristischer Online-Inhalte« sieht eine Ein-Stunden-Regel vor. »Die Hostingdienste-Anbieter entfernen die terroristischen Inhalte innerhalb einer Stunde nach Erhalt der Entfernungsanordnung oder sperren den Zugang dazu«, heißt es im Entwurf der sogenannten Terreg-Verordnung.

Die Anordnungen sollen dem Entwurf der EU-Kommission zufolge die Behörden der EU-Staaten erlassen. Darüber hinaus sieht das Gesetz vor, dass Hostingdienste von sich aus gegen »Terrorinhalte« vorgehen.

Derzeit steckt der Entwurf im Trilog, bei dem Kommission, Parlament und Regierungen um einen Kompromiss ringen. Ein Zankapfel ist die Meinungsfreiheit. Zwar verlangt schon der Entwurf ihre Berücksichtigung. Die Parlamentarier wollen sie aber stärken und haben deshalb unter anderem Änderungen von Artikel eins beschlossen.

»Unser Ziel war es, einige Sicherheit zu geben dass, wenn Sie als Journalist zum Beispiel einen Artikel über den 'Islamischen Staat' veröffentlichen, in dem Sie Material direkt aus der Propaganda des 'Islamischen Staates' verwenden, nicht bestraft würden«, erklärt der federführende Abgeordnete, der Pole Patryk Jaki von der Fraktion Europäische Konservative und Reformer.

Allerdings ist dieser Parlaments-Zusatz wie auch andere umstritten - die Regierungen haben ihn bisher nicht akzeptiert. Und es gibt weiteren Änderungsbedarf, wie Patrick Breyer (Piratenpartei) geltend macht. »Kommission und Rat wollen den Einsatz von Uploadfiltern«, erklärt er. »Diese verstehen aber Kontexte nicht. Will ein Journalist ein Bild oder ein Video nutzen, das früher mal für terroristische Propaganda verwendet wurde, drohen die Filter das zu unterdrücken.«

Ein weiterer schwerer Mangel aus Sicht des Juristen und EU-Abgeordneten: Behörden aus einem EU-Mitgliedsland dürften in einem anderen Löschungen anordnen. »Deutsche Standards für Pressefreiheit wären Makulatur, wenn ein ungarischer Innenminister hierzulande andere Vorstellungen durchsetzen will«, sagt Breyer.

Der Gesetzesplan sorgt weit übers Parlament hinaus für Beunruhigung. Im Dezember 2018 trugen drei Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen Bedenken vor. Sie bemängelten in einem Gutachten etwa »die allzu breite Definition terroristischen Inhalts in dem Vorschlag, die legitime Meinungsäußerungen mitumfassen kann«.

Ende April schrieben »Reporter ohne Grenzen« und vier weitere Organisationen in Deutschland in einem offenen Brief an Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) und Innenminister Horst Seehofer (CSU), dass der Gesetzentwurf »die Kommunikationsgrundrechte unverhältnismäßig einschränkt«.

Die Kommission ficht die Kritik insgesamt nicht an. Jede vorgeschlagene Maßnahme sei mit Sicherungen versehen, darunter Rechtsbehelfen und Beschwerdemechanismen, erklärt ein Sprecher. Für automatisierte Werkzeuge - also Uploadfilter - seien menschliche Aufsicht und Verifizierung vorgesehen. Generell seien sie unumgänglich, um mit den Taktiken der Terroristen Schritt zu halten.

Die Abgeordnete Hohlmeier sieht sich eher beim Kommissionsvorschlag als bei der aktuellen Parlamentsposition. Beim Thema Uploadfilter weist sie darauf hin, dass durch menschliche Überprüfung ergänzte automatische Verfahren Unternehmen entlasten könnten, bei denen terroristische Online-Inhalte besonders häufig aufzufinden seien. Die Befürchtungen eines »Overblockings« hätten sich bisher nicht bewahrheitet, sagt die CSU-Politikerin. Um Uploadfilter wurde bisher besonders mit Blick auf das neue EU-Urheberrecht gestritten. Es muss bis Juni 2021 in nationales Recht umgesetzt sein.

Dessen ungeachtet will Hohlmeier für die gesamte neue Verordnung eine Überprüfung durch das Europaparlament festschreiben: »Sind Mitgliedstaaten zu lax und bringen dadurch die anderen in Gefahr?«, sagt sie. »Oder missbrauchen Mitgliedstaaten das Gesetz für Dinge, die nicht von den europäischen Werten gedeckt sind? Wir müssen genau kontrollieren, wie sie es anwenden.« epd/nd

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