Weniger erklären, mehr fordern

Wie Trainer Florian Kohfeldt dem Abstiegskandidaten Werder Bremen neue Hoffnung gegeben hat

  • Frank Hellmann, Bremen
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Bilder gehören längst zur Vereinsgeschichte des SV Werder wie vier Deutsche Meisterschaften oder sechs Pokalsiege: Am Pfingstsonnabend vor vier Jahren löste der 1:0-Heimsieg von Bremens Fußballern gegen Eintracht Frankfurt Glücksgefühle wie nach einem Titelgewinn aus. Die in den Innenraum geströmten Fans nahmen Teile des Rasens und der Tornetze mit nach Hause, weil in letzter Minute die Relegation abgewendet wurde. »Ziemlich jung, ziemlich nervös«, sei er damals gewesen, erinnert sich Bremens Cheftrainer Florian Kohfeldt, der damals noch die Assistentenrolle besetzt hatte.

Vier Jahre danach ist die Ausgangslage vor dem Nachholspiel am Mittwochabend im Weserstadion anders. Die Hanseaten können bei einem Sieg die direkten Abstiegsränge verlassen. Und doch hat das 100. Bundesliga-Duell der beiden Traditionsvereine keinen finalen Charakter. »Nach diesem Endspiel werden für uns noch fünf weitere folgen«, beteuert der 37-jährige Kohfeldt, der die Eintracht erstaunlicherweise gar »nicht als Konkurrent« betrachtet. Denn: »Die sind nicht wirklich im Abstiegskampf drin.« Auch bei den Emotionen können keine Parallelen entstehen: Am 14. Mai 2016 war der Mannschaftsbus von Werder durch grün-weiße Massen gekrochen, heute halten die Menschen am Osterdeich bewusst noch mehr Abstand als auf der Flaniermeile Schlachte.

Ein Saisonabbruch als letzter Rettungsanker scheidet in jeder Hinsicht aus. Mit sieben Punkten aus drei Partien, 1:0 in Freiburg, 0:0 gegen Mönchengladbach und 1:0 auf Schalke, ist die Hoffnung zurückgekehrt, sportlich den zweiten Abstieg seit 1980 zu verhindern. Nicht einmal die Tatsache, dass Werder seit neun Monaten keinen Heimsieg eingefahren hat, bremst den zarten Optimismus. Kohfeldt liefert eine interessante Erklärung dafür: Die strengen Vorgaben durch das Hygienekonzept der Deutschen Fußball Liga würden sogar helfen, im viel beschworenen Tunnel zu bleiben. »Durch die langen Hotelaufenthalte gibt es nichts anderes.« Ablenkung von außen entfällt.

Der Coach selbst hat erkannt, dass die einst von Otto Rehhagel in Bremen erschaffene Wagenburg-Mentalität, auch einem offeneren Trainertypen wie ihm in Krisenzeiten nutzen kann. Er erklärt weniger und fordert mehr. Ausdruck des Schulterschlusses ist, wie Reservisten, Co-Trainer und Physiotherapeuten die Protagonisten auf dem Platz während der Spiele nun anfeuern. Die Zwangsunterbrechung durch Corona half zudem, die eklatanten Fitnessdefizite aufzuarbeiten. So könnte sich die Absage der ursprünglich für den 1. März angesetzten Begegnung vom 24. Spieltag gegen Eintracht Frankfurt nun sogar als Segen erweisen. Der einst lautstark vorgebrachte Unmut über die Verlegung - durch das verschobene Spiel der Frankfurter in der Europa League in Salzburg - hat sich verflüchtigt. Den Klassenerhalt würde der im November 2017 vor einem Auswärtsspiel in Frankfurt in höchster Abstiegsnot als Cheftrainer installierte Kohfeldt übrigens über alles bisher Erreichte stellen.

Eine Art Mini-Wunder von der Weser wäre es allemal. Zumal die Klubführung das Trainer-Eigengewächs gegen alle Branchengesetze - und sogar Kritiker aus der eigenen Werder-Familie - weiterhin schützt. Manager Frank Baumann sagte gerade, es interessiere ihn nicht, ob er sich bestätigt fühlen darf: »Wir haben immer an Florian geglaubt und sind sicher, dass wir in dieser Konstellation den Klassenerhalt schaffen können.« Aber noch ist das Gebilde natürlich etwas wacklig: Die zweiten Halbzeiten in Freiburg und Gelsenkirchen bestritt die Mannschaft fast ausschließlich im Verteidigungsmodus. »Nicht schön, nicht berauschend«, fand auch Kohfeldt. Aber die Punktausbeute stimmt.

Defensive Stabilität wird auch weiterhin der Schlüssel für den Ligaverbleib sein. Dass Leihgabe Kevin Vogt inzwischen effektiv zwischen Mittelfeld und Abwehr pendelt und dass Torwart Jiri Pavlenka wieder zu alter Klasse gefunden hat, war mindestens so gewinnbringend wie die goldenen Tore von Leonardo Bittencourt. Der aus Kölner Zeiten als zu zartbesaitet beschriebene Techniker ist übrigens fürs Frankfurt-Spiel wieder einsatzbereit. »Leo hatte bis vor der Coronapause auch eine schwierige Zeit, weil er immer wieder überall aushelfen musste«, sagt Kohfeldt. »Aber er hat Eigenschaften, die unserem Spiel immer guttun.« Mit einem dritten Volltreffer binnen kürzester Zeit könnte Bittencourt neue Werder-Geschichte schreiben.

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