Solidarität mit »Black Lives Matter«-Protesten

Jüdinnen und Juden in Berlin unterstützen die Widerstandsbewegung gegen Rassismus und Polizeigewalt

  • Jérôme Lombard
  • Lesedauer: 4 Min.

»Gegen Rassismus zu kämpfen, heißt für mich in erster Linie, für gegenseitigen Respekt zu kämpfen«, sagt Devaney Baron. »Welche Hautfarbe wir haben, ob ich jüdisch bin, sie muslimisch und er christlich, spielt dabei überhaupt keine Rolle.« Baron, 22 Jahre alt, Deutschamerikanerin und Jüdin, war, wie Zehntausende andere, am vergangenen Samstag auf dem Alexanderplatz in Berlin-Mitte, um ihrer Empörung über den brutalen Polizeimord an George Floyd am 25. Mai in der US-Metropole Minneapolis Luft zu machen. »Es ist unbedingt notwendig, dass rassistische Gewalt und systematische Diskriminierung durch Strafverfolgungsbehörden auch hier in Deutschland endlich breit thematisiert werden«, sagt sie.

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Seit vier Jahren engagiert sich die junge Frau, die für ihr Studium aus Frankfurt am Main nach Berlin gezogen ist, schon in der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD). Die Vereinigung versteht sich als bundesweite Plattform für junge jüdischer Erwachsene. Die JSUD wird vom Zentralrat der Juden in Deutschland gefördert und hat sich mit Protesten der »Black Lives Matter«- Bewegung solidarisch erklärt. »Für mich als Jüdin ist es eine Selbstverständlichkeit, dass ich alle Menschen unterstütze, die sich für eine freie und tolerante Gesellschaft starkmachen«, sagt Baron. »Ich bin der Meinung, dass wir alle füreinander verantwortlich sind.« Als weiß etikettierte Frau sei sie sich ihrer gesellschaftlichen Privilegien bewusst. »Niemals werde ich es nachfühlen können, wie es ist, direkt von Rassismus betroffen zu sein.« Antisemitismus und Rassismus spielten sich auf unterschiedlichen Ebenen ab und »greifen doch beide auf Theorien der Ungleichwertigkeit zurück«, wie sie sagt. Deshalb sei es für sie ein persönliches Anliegen, gegen alle Formen von Ausgrenzung einzustehen.

Auch Ruben Gerczikow, Vizepräsident der JSUD aus Berlin, findet es wichtig, dass sich die jüdische Community in der Hauptstadt mit den Floyd-Protesten solidarisch zeigt. »Der strukturelle Rassismus in der deutschen Polizei ist auch eine Gefahr für die jüdische Gemeinschaft«, sagt er. »Hass und Ausgrenzung zielen letztendlich immer auf alle gesellschaftlichen Minderheiten ab«, meint Gerczikow. Der Einsatz gegen Rassismus sei deswegen auch immer der Einsatz gegen andere Formen der Diskriminierung. »Als Jüdinnen und Juden haben wir ganz besonders sensible Antennen, wenn es um die Ausgrenzung von gesellschaftlichen Minderheiten geht«, meint der 23-Jährige. »Aus dieser Position heraus ergibt sich meiner Meinung nach auch eine besondere Verantwortung.«

Auch in der jüdischen Community gebe es bisweilen rassistische Vorurteile. »Rassismus ist etwas, das sowohl in Amerika als auch in Europa tief in der DNA der Gesellschaften verwurzelt ist«, meint Gerczikow. Wenn sich schwarze Juden und Jüdinnen in den Gemeinden in Deutschland unwillkommen, ungehört und nicht vertreten fühlten, sei dies »beschämend«. »Hier müssen wir auch im innergemeinschaftlichen Dialog dafür sorgen, dass solche Einstellungen verschwinden«, fordert der junge Mann. Auch in Israel werde diese Debatte teils heftig geführt. Tatsächlich hatte die »Black Lives Matter«-Bewegung im vergangenen Jahr in Israel für Aufsehen gesorgt. Nachdem ein Jugendlicher äthiopischer Abstammung im Juli vergangenen Jahres von einem Polizisten erschossen worden war, kam es zu teils gewaltsamen Protesten gegen rassistische Polizeigewalt. Die rund 145.000 Angehörigen der jüdisch-äthiopische Community in Israel klagen seit Langem über Diskriminierung von Seiten der Polizei und staatlichen Behörden.

»Es ist wirklich traurig und schade, dass offener Rassismus und Diskriminierung gegenüber Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe auch heute noch in unseren Gesellschaften präsent ist«, sagt Jonathan Ben-Shlomo, Vizepräsident beim jüdischen Sportverband Makkabi Deutschland. Sein Verband tue alles, damit Rassismus und Antisemitismus im Sport keinen Platz haben. Ben-Shlomo kennt beides aus eigener Erfahrung. Der gebürtige Freiburger hat einen israelischen Vater iranischer Abstammung und eine deutsche Mutter. »Im letzten Jahr wurde ich von einem Mann auf offener Straße angesprochen, woher ich denn komme«, erzählt Ben-Shlomo. Nachdem er seine Familiengeschichte kurz erzählt hatte, habe der Mann ihm geantwortet. »Dein Vater kommt aus Israel? Hitler hat euch wohl vergessen«, wie er erzählt. »Rassismus und Antisemitismus gehen nicht selten Hand in Hand«, sagt Ben-Shlomo.

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