»Die Proteste treffen einen Nerv«

Alba Berlins Basketballer Luke Sikma übers BBL-Finale und die Demonstrationen in den USA

  • Lesedauer: 5 Min.

Glückwunsch zu den ersten beiden Siegen in München. Sind Sie schnell in den Rhythmus gekommen?

Nein, einen Rhythmus würde ich das noch nicht nennen. Dafür sind zwei Spiele zu wenig. Vor allem in der Defensive sind wir noch lange nicht da, wo wir hinwollen. Zum Glück haben wir offensiv gut getroffen und so immer wieder Wege gefunden, die Spiele für uns zu entscheiden.

Das Turnier dauert drei Wochen. Ist das genug Zeit, um eine normale Playoff-Form zu erreichen?

Natürlich ist die Saison nicht mit einer normalen zu vergleichen. Aber wir gehen dennoch mit der gleichen Einstellung ran: jedes Spiel zu nutzen, um uns weiterzuentwickeln.

Ist es ein Vorteil für Alba, dass der Kern der Mannschaft schon so lange zusammenspielt?

Ich denke schon. Mit Leuten wie Peyton Siva und Niels Giffey spiele ich ja schon jahrelang zusammen, wir kennen einander gut, und das hilft bei der kurzen Vorbereitung, die alle Teams nach der Pause durchlaufen haben.

Es gab schon einige Überraschungen: Ulm bezwang Bayern München, der bisherige Tabellendritte Crailsheim verlor sogar die ersten drei Spiele. In der Häufigkeit schienen Außenseitersiege in der regulären Saison ausgeschlossen. Warum passiert das jetzt?

Ich denke, es liegt vor allem daran, dass manche Teams sich mit neuen Spielern verstärkt haben, die die Gegner noch nicht kennen. Eine Vorbereitung wird damit schwieriger.

Viele US-Spieler sind wie Sie während der Pause nach Hause geflogen. Wie haben Sie sich fit gehalten?

Es war mir wichtig, in dieser Zeit bei meiner Familie in Seattle zu sein. In der Nähe meines Hauses dort ist ein Park, in dem ich laufen und auch Basketball spielen konnte. Klar war es nicht dasselbe wie ein Training mit dem Team, aber ich habe den Körper in Bewegung gehalten. Viel mehr war nicht möglich.

Wie war Ihre erste Reaktion, als der Anruf aus Berlin kam: »Komm zurück! Es geht weiter.«

Zuerst war ich überrascht. Die USA waren später vom Virus getroffen worden. Als in Europa also schon wieder über das Ende des Lockdowns diskutiert wurde, steckte mein Land noch tief in der Krise. Es fiel schwer zu glauben, dass man schon wieder spielen kann. Aber als ich erst mal hier war, hab ich gesehen, wie sehr sich die Situation in Deutschland schon wieder normalisiert hat und dass man bei dem Turnierkonzept das Risiko von Infektionen sehr ernst nimmt. Ein Gutes hatte der Rückflug: Es gab keine Schlange beim Check-in oder bei der Sicherheitskontrolle, und das Flugzeug war halb leer.

Die Halle in München ist komplett leer. Wie spielt es sich ohne Fans?

Das ist sehr ungewohnt, weil die Fans von Alba ein wichtiger Bestandteil unseres Spiels sind. Sie sind immer dabei und immer laut. Dennoch stellen wir uns jetzt drauf ein, dass es eben die Atmosphäre eines Vorbereitungsspiels hat und man alles hört, was angesagt wird. Einlaufmusik und Durchsagen kommen trotzdem noch aus den Lautsprechern. Das hat schon etwas Skurriles.

Zwischen Spiel zwei und drei hat Ihr Team gerade drei Tage spielfrei. Das Training dauert pro Tag aber nur zwei Stunden. Womit beschäftigen Sie sich? Sind Sie eher der Karten-, Puzzle- oder Videospiel-Typ?

Wir machen verschiedene Dinge. Wir spielen mal Tischtennis, manche gehen spazieren, aber wir treffen uns auch oft zum Call-of-Duty-Zocken.

Alle rund um eine Playstation?

Nein, alles online. Jeder in seinem Einzelzimmer, aber nur drei Meter voneinander entfernt mit einer Zimmerwand dazwischen.

In Ihrer Heimat reißen die Proteste gegen Rassismus nicht ab. Dabei ist Polizeigewalt, ebenso wie die Proteste dagegen, nicht neu in den USA. Nur änderte sich nie etwas. Fühlt es sich diesmal anders an?

Definitiv. Die Leute protestieren nicht nur in einer Stadt, sie kommen überall zusammen. In Massen. Überall auf der Welt scheint ein Nerv getroffen, und die Leute wollen, dass sich etwas ändert. Sie wollen, dass Polizeibrutalität und die Misshandlung von Minderheiten enden. Reformen brauchen aber Zeit und viele Menschen, die dranbleiben. Den Start einer solchen Bewegung haben wir jetzt gesehen. Und ich bin optimistisch, dass daraus viel Gutes entstehen wird. Hinter den USA liegen viele Jahre der Feindseligkeit, des Frusts und der Vorurteile. Das sieht man in vielen Bildern von Polizisten und Demonstranten. Es gibt viele hässliche Szenen. Auch viele positive, aber die hässlichen bestimmen die Bilder in den Medien. Hoffentlich wachsen wir daran und wandeln es in etwas Positives um. Wenn viele Menschen zusammenkommen und ein Ziel haben, können sie Wandel erreichen. Das ist das Tolle an einer Demokratie.

Was braucht es dafür sowohl auf politischer als auch auf persönlicher Ebene?

Natürlich brauchen wir Führungspersönlichkeiten, die eine Idee davon haben, wie man diese Dinge lösen kann. Das Ganze explodiert ja gerade auch, weil die Wahlen im November gar nicht mehr weit weg liegen. Die Bürger sehen eine Gelegenheit, schon bald etwas zu ändern. Nur muss auch jeder einzelne seinen Teil dazu beitragen: Geld und Zeit spenden, Unterschriften sammeln, demonstrieren. Ich persönlich habe zwar schon Geld gespendet, aber diese wichtigen, auch mal unangenehmen Diskussionen über Rassismus und darüber, wie er das tägliche Leben der Menschen beeinflusst, habe ich selten geführt. Ich merke aber wie viele andere auch, dass wir genau die jetzt führen müssen. Es braucht Offenheit und Ehrlichkeit, nur so überwinden wir den Hass, und jeder fühlt sich gehört. So bewegt man eine Nation.

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