Pessimistischer als die Bundesregierung

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) geht von einem Einbruch der Wirtschaftsleistung um mindestens 8,1 Prozent dieses Jahr aus

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 3 Min.

Jetzt, da die Corona-Beschränkungen immer mehr zurückgefahren werden, scheint sich alles wieder zu normalisieren. Schon diskutiert man, dass die Rezession ihren Tiefststand erreicht habe und es nun wieder bergauf gehe. Für Claus Michelsen wird dabei aber vergessen, wie sehr die Coronakrise die »ökonomische Grunddynamik in Mitleidenschaft« gezogen habe. »Es wird lange dauern, bis die deutsche Wirtschaft die Verluste durch die Coronakrise ausgeglichen haben wird«, warnt der Konjunkturchef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW).

Sein Institut gab am Donnerstag eine pessimistische Konjunkturprognose heraus: Demzufolge wird die Wirtschaftsleistung dieses Jahr um 9,4 Prozent einbrechen und die Arbeitslosenquote von fünf auf sechs Prozent steigen. Da das DIW nächstes Jahr mit einem Wachstum von drei Prozent rechnet, werden die Wachstumsverluste den Ökonomen zufolge auch Ende 2021 noch nicht ausgeglichen sein.

Zwar hat das DIW dabei noch nicht die Impulse einbezogen, die das vergangene Woche beschlossene 130 Milliarden Euro schwere Konjunkturpaket setzt. Doch gehen Michelsen und seine Kollegen von einem Effekt von lediglich 1,3 Prozentpunkten aus. Folglich wird auch mit den Milliardenstützen für die Unternehmen dieses Jahr die Konjunktur mit 8,1 Prozent weitaus stärker abrutschen als 2009, in Folge der Finanzkrise.

Das DIW blickt damit weitaus sorgenvoller in die Zukunft als die Bundesregierung. Diese geht in ihrer aktuellen Prognose von einem Einbruch um 6,3 Prozent in diesem Jahr aus. 2021 soll es dann ihr zufolge mit 5,2 Prozent wieder recht schnell aufwärtsgehen.

Doch dieser Optimismus wird auch von der Industriestaatenorganisation OECD nicht geteilt. In ihrer am Mittwoch veröffentlichten Prognose geht sie von einem Minus von 6,6 bis 8,8 Prozent aus. Entscheidend ist dabei, ob die Pandemie im Sommer ausläuft, oder ob es im Herbst zu einer zweiten Infektionswelle kommt. Das DIW geht in seiner pessimistischen Prognose indes von keiner zweiten Welle aus.

Diese Unsicherheit sowie Einkommenseinbußen beeinflussen laut dem Forschungsinstitut auf die gesamtwirtschaftliche Nachfrage, sodass nach dem scharfen Einbruch eine Durststrecke folgt, bevor es allmählich bergauf geht. Nicht allein das Stocken der Industrieproduktion und die verständlicherweise schlechte Konsumlaune der privaten Haushalte drücken auf die Konjunktur. In einer solchen Situation halten sich auch die Unternehmen mit Investitionen massiv zurück. Dieses Jahr werden die Ausrüstungsinvestitionen um rund ein Fünftel geringer sein als vergangenes Jahr, schätzt das DIW. Bei den Konsumausgaben rechnet es mit einem Minus von 8,5 Prozent.

Was für die hiesige Wirtschaft hinzukommt: Im Gegensatz zur letzten Finanzkrise wird sie sich nicht aus der Coronakrise herausexportieren können. Denn 2009 stagnierte die Weltwirtschaft zumindest, dies stützte die exportabhängige deutsche Industrie. Doch nun ist die Lage eine andere. »Weltweit erleiden Haushalte und Unternehmen enorme Einkommens- und Umsatzausfälle und sind gleichzeitig erheblich verunsichert über den weiteren Pandemieverlauf und die wirtschaftliche Entwicklung«, sagt DIW-Weltwirtschaftsexpertin Geraldine Dany-Knedlik. Dies dürfte Investitionen und Konsum noch bis in das kommende Jahr hinein deutlich bremsen. Daher werde sich die Weltwirtschaft nur langsam erholen.

Die Folge für die hiesigen Unternehmen: Dieses Jahr werden sie 16,5 Prozent weniger Umsatz im Ausland machen können als noch im vergangenen Jahr. Und dies werden sie anders als 2009/2010 nach der Finanzkrise nicht im nächsten Jahr sofort wieder ausgleichen können.

Das DIW schlägt deshalb ein Investitionsprogramm in Höhe von rund 192 Milliarden Euro für die nächsten zehn Jahr vor - zusätzlich zum Konjunkturpaket der Bundesregierung, das laut den Forschern vor allem kurzfristig wirkt. Das Geld soll in die Entschuldung der Kommunen und die Bildung fließen sowie Impulse für die Digitalisierung und für den ressourcen- und klimaschonenden Umbau der Industrie setzen. Das DIW erhofft, dass dies das Wirtschaftswachstum um durchschnittlich 0,5 Prozent pro Jahr erhöht und mehr als 800 000 Arbeitsplätze schafft.

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