Dein Freund und Fahrrad-Dealer

Sachsens Innenminister steht wegen seiner Schweigsamkeit zur Korruptionsaffäre in Leipzigs Polizei unter Druck

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 3 Min.

In ganz Deutschland geht die Zahl der Fahrraddiebstähle zurück - außer in Sachsen. Dort, so teilte die Bundesregierung jetzt auf Anfrage eines FDP-Abgeordneten mit, wurden 2015 gut 19 000 Räder geklaut, vier Jahre später über 20 500. Am meisten müssen Radler in Leipzig um ihren fahrbaren Untersatz bangen. Dort gibt es 1700 gestohlene Räder je 100 000 Einwohner, mehr als doppelt so viele wie in Berlin mit 788. Die sächsische Großstadt sei, schrieb eine Zeitschrift der Versicherungsbranche, die »Hauptstadt der Fahrraddiebe«.

Exzellente Voraussetzungen also für ein Geschäftsmodell, das in der Leipziger Polizei entwickelt worden sein soll und das, als es von einem Boulevardblatt jetzt fast zeitgleich mit den bundesweiten Zahlen publik gemacht wurde, für sarkastische Kommentare in sozialen Medien sorgte. Es beruhte darauf, dass gestohlene, aber von der Polizei sichergestellte Fahrräder vertickt wurden, teils im Kollegenkreis. Von mehr als 1000 Fahrrädern binnen vier Jahren ist die Rede. Das Landeskriminalamt (LKA) ermittelt in der Affäre, die auch Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU) in Bedrängnis bringt - weil er offenbar monatelang bewusst dazu schwieg.

Dem Bericht der Leipziger »Morgenpost« zufolge ist die zentrale Figur der Affäre eine Mitarbeiterin einer seit 2012 bestehenden, mittlerweile aufgelösten Ermittlungsgruppe zu Fahrraddiebstählen. Sie soll Räder aus der Asservatenkammer verkauft haben, wobei die Abwicklung über einen Verein erfolgte, die Kleingartensparte »Freundschaft e.V.«. Zu den Kunden, die nur 50 bis 100 Euro für teils hochwertige Modelle zahlten, sollen Dutzende Polizisten gehört haben, zudem unter Umständen auch Mitarbeiter der Justiz. Nach Angaben des Innenministeriums hat die Polizeidirektion Leipzig im Juli 2019 Anzeige beim LKA erstattet. Die Ermittlungen wegen des Verdachts der Bestechung, Bestechlichkeit und Strafvereitelung im Amt würden von der Staatsanwaltschaft Leipzig geführt. Sie dauern laut Ministerium an.

Wellen in der Landespolitik und in der schwarz-grün-roten Regierungskoalition schlägt die Affäre, weil der Verdacht der »Vertuschung« gegen Wöller im Raum steht. Diesen Begriff nutzt Albrecht Pallas, Kriminalpolizist und Innenexperte der SPD, die im Land mit CDU und Grünen regiert. Er artikuliert den Vorwurf immerhin unter Vorbehalt: falls Wöller den Vorgang »gegen ausdrückliche Empfehlung bewusst verschwiegen« habe. Falls sich Wöller nicht »unverzüglich« öffentlich erkläre, wäre das »für einen Innenminister inakzeptabel«.

Laut Medienberichten wurde Wöller von der Polizei gedrängt, an die Öffentlichkeit zu gehen. Leipzigs Polizeipräsident Torsten Schulze bat ihn in einem Brief vom 27. Dezember um »größtmögliche Transparenz«. Es sei damit zu rechnen, dass die Affäre früher oder später ohnehin publik und »gegebenenfalls skandalisiert werden« würde. Wöller habe sich freilich in dem Fall »gegen jegliche Transparenz« entschieden, kritisiert Kerstin Köditz von der Linksfraktion.

Wöller selbst zeigte sich zwar »bestürzt« über den Vorgang, verwies indes auf die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft für Öffentlichkeitsarbeit. Auch hätte verfrühte Information »die Aufklärung gefährdet«. Die CDU-Fraktion stellte sich vor den Minister: Dieser »genießt unser Vertrauen«, sagte Innenexperte Rico Anton. Doch der Druck bleibt hoch. Valentin Lippmann, Innenpolitiker der mitregierenden Grünen, sprach vom Eindruck, dass Landtag und Öffentlichkeit »an der Nase herumgeführt werden« sollten. Die Linke in Leipzig äußert derweil den Verdacht, die Affäre sei »gezielt vertuscht« worden, um die CDU-Kampagne für die Oberbürgermeisterwahl nicht zu gefährden. Die präsentierte Ex-Justizminister Sebastian Gemkow als Radfahrer - und harten Law-and-Order-Politiker.

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