Armutsbekämpfung hilft auch der Umwelt

Die Entwaldung in Indonesien geht zurück. Eine Studie zeigt unerwarteten Zusatznutzen von Hilfsprogrammen

  • Michael Lenz
  • Lesedauer: 4 Min.

Die tropischen Wälder sind die grünen Lungen der Welt, Schatzkammern der Biovielfalt und unverzichtbare CO2-Speicher. Das kümmert aber die meisten Agrarkonzerne sowie Holz- und Papierindustrie noch immer wenig. Vor allem in Brasilien haben diese Firmen im rechten Politultra Präsident Jair Bolsonaro derzeit einen willfährigen Helfer gefunden.

2019 gingen in den Tropen 11,9 Millionen Hektar Baumbestand verloren. Diese Bilanz ziehen Experten der Universität Maryland in dem auf der Plattform Global Forest Watch veröffentlichten Report des World Resources Institute (WRI). Zum Baumstand zählen alle Bäume von Urwald bis Baumschule. Ein Drittel des Verlustes aber, also 3,8 Millionen Hektar - davon 1,35 Millionen Hektar in Brasilien - betrifft die tropischen Primärwälder. »Das entspricht dem jährlichen Verlust einer Primärwaldfläche von der Größe eines Fußballfeldes alle sechs Sekunden«, heißt es in dem Report.

Jetzt die gute Nachricht, die erstaunlicherweise Indonesien betrifft, Heimat einer der größten tropischen Waldflächen der Welt. Der Inselstaat war bisher gemeinhin für seine Abholzung zur Gewinnung von Flächen vor allem für Ölpalmenplantagen berüchtigt. Die Entwaldung in dem südostasiatischen Inselstaat aber geht langsam zurück. Diese Bilanz ziehen gleich zwei aktuelle Studien.

Der Primärwaldverlust hat in Indonesien im Jahr 2019 im Vergleich zum Vorjahr um fünf Prozent abgenommen, heißt es im Report des WRI. »Dies ist das dritte Jahr in Folge mit reduzierten Verlusten«, bilanzieren die WRI-Experten und ergänzen, seit 2000 habe das Land keinen so geringen Verlust an Primärwäldern verzeichnet. Ein Wermutstropfen ist aber der Waldverlust durch die gigantischen Brände im Sommer 2019, der noch nicht Eingang die Bilanz gefunden hat.

Mehrere Maßnahmen der Regierung in Jakarta und der Provinzregierungen wie verstärkte Strafverfolgung zur Verhinderung von Waldbränden und Rodungen sowie das nunmehr permanente Moratorium für Waldrodungen für Ölpalmenplantagen haben nach Ansicht des WRI zu diesem Rückgang beigetragen. Papua und West-Papua, die zusammen mehr als ein Drittel des verbleibenden indonesischen Primärwaldes umfassen, verzeichneten auch 2019 weiterhin geringe Verluste, nachdem ihre Gouverneure sie zu »nachhaltigen Provinzen« erklärten.

Ein weiteres Programm der Regierung Indonesiens zielte zwar gar nicht auf den Umweltschutz, führte aber trotzdem zum Rückgang der Entwaldung. In der Umgebung von Dörfern, die vom staatlichen »Program Keluara Harapan« (PKH) zur Armutsbekämpfung profitierten, wurde weniger Wald abgeholzt. Zu diesem spannenden Resultat kam eine Studie von Paul Ferraro von der US-amerikanischen Johns-Hopkins-Universität und seiner Kollegin Rhita Simorangkir von der Nationalen Universität von Singapur (NUS). Damit widerlegten der Verhaltensforscher Ferraro und die Ökonomin Simorangkir die bislang vor allem von Politikern bemühte Behauptung, Armutsbekämpfung und Kampf gegen Entwaldung schlössen einander aus. »Mit anderen Worten: die Reduzierung von Armut muss nicht zwingend auf Kosten der Umwelt gehen. Wir können an beiden Fronten Fortschritte erzielen«, betont Simorangkir.

Für die im Wissenschaftsblatt »Science Advances« veröffentlichte Studie untersuchten die beiden Wissenschaftler 266 533 Haushalte in 7468 Dörfern, die zwischen 2008 und 2012 aus dem PKH Bargeldtransferleistungen erhalten hatten. Zur Abschätzung der Auswirkungen des Programms auf die Entwaldung verglichen sie sodann diese Daten mit den Daten der Entwaldung in diesen Regionen. Das Ergebnis: in der Umgebung der PKH-Dörfer war die Entwaldung um 30 Prozent zurückgegangen. Davon profitierten etwa zur Hälfte die Primärwälder.

Die Bargeldhilfe wirke wie eine Art Versicherung gegen Entwaldung, finden die beiden Autoren. »Das Programm ermöglicht es den Empfängern, Produkte auf den Märkten zu kaufen, anstatt sie durch die Abholzung von Wäldern zu erwirtschaften.« Da aber Gemüse, Obst, Reis und Fleisch zum Verkauf auf den Märkten irgendwo produziert werden müssen, stellten sich die beiden Experten auch die Frage, ob die Entwaldung lediglich in Dörfer der näheren Umgebung verlagert worden sei, die nicht im PKH gewesen seien. »Dafür gibt es keine Belege«, sagt Ferraro. Seine Kollegin Simorangkir räumte gegenüber »nd« ein, dass solche »Spillover-Effekte«, wenn sie in großer Entfernung passierten, von ihren Analysen nicht erfasst worden wären.

Ob Armutsbekämpfung einer der Faktoren ist, die zu dem vom WRI festgestellten Rückgang der Entwaldung geführt hat, ist noch nicht bekannt. Juliane Reidinar von WRI Indonesia schreibt in einer E-Mail: »Wir haben noch keine Analysen oder Forschungen durchgeführt, die die Verringerung der Armut mit einer geringeren Entwaldung in Indonesien in Verbindung bringen.«

Gleichwohl sehen Ferraro und Simorangkir Effekte, die über die Armutsbekämpfung und den Rückgang der Entwaldung vor Ort hinausgehen. »Schon alleine der wirtschaftliche Wert der Vermeidung von CO2-Emissionen steht in einem günstigen Verhältnis zu den Kosten der Durchführung des Programms«, betont Ferraro und fügt hinzu: »Ähnliche Programme in anderen Ländern sollten in der gleichen Weise evaluiert werden.« Wenn unsere Ergebnisse für Indonesien eine Allgemeingültigkeit für andere an Artenvielfalt reiche Nationen hätten, so Ferraro, gebe es »etwas Hoffnung, dass die globalen Anstrengungen zur Ausmerzung der extremen Armut und zur Umkehr des Verlustes von artenreichen Ökosystemen sich ergänzen können.«

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