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- Gamescom 2025
»Spiele sind Träger von Ideologie, genau wie Hollywood«
Bundestagsabgeordnete der Linken, Anne-Mieke Bremer, im Gespräch zu Videospielen und Streaming im Internet
Frau Bremer, sie sind Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag für Games. Wie füllen sie diese Rolle und werden sie die Gamescom in Köln, die weltweit größte Videospielmesse, besuchen?
Wir erarbeiten gerade ein Positionspapier zu Gaming von links. Das Thema wurde jahrelang vernachlässigt, obwohl es viele politische Dimensionen hat: Wirtschafts-, Kultur- und Medienpolitik, Arbeitsbedingungen bei den Entwicklern. Auch E-Sports und die Frage der Gemeinnützigkeit für Vereine im ländlichen Bereich gehören dazu. Auf der Gamescom bin ich dieses Jahr leider nur am Donnerstag.
Sie sind nicht nur Politikerin und Sprecherin für Games, sondern streamen auch auf Twitch. Was ist Twitch überhaupt und warum streamen Sie?
Twitch ist die weltweit führende Live-Streaming-Plattform von Amazon und zählt auch in Deutschland mehrere Millionen Nutzer*innen. Ursprünglich für Gaming-Livestreams gedacht, findet man dort heute alles Mögliche, wie Just Chatting oder Polittalks. Ich habe vorletztes Jahr, also vor meiner Zeit als Politikerin, unter dem Namen »Koffeinpiratin« angefangen, Videospiele zu streamen, weil ich selbst schon immer Gamerin war und diesen Content gerne auf Twitch geschaut habe. Im Bundestagswahlkampf dachte ich: Warum nicht direkt von Twitch aus berichten, das Gesagte anderer Kandidat*innen kommentieren und das Ganze mit Zocken verbinden? Dazu kamen Gespräche über Dinge, die mich sonst so bewegen: vom Sammeln von Pokémon-Kuscheltieren bis zu Klemmbausteinen.
Anne-Mieke Bremer zog 2025 für Die Linke über die Landesliste Niedersachsen in den Bundestag. Die 33-Jährige ist Sprecherin der Linksfraktion für Games und Digitale Infrastruktur.
Im Vergleich zu den USA, wo Internet-Linke wie hasanabi, ContraPoints oder Sam Seder mit professionellen Videos ein Millionenpublikum erreichen, liegt der Raum deutscher digitaler Linker noch ziemlich brach. Sehen Sie das anders?
Nein, das stimmt schon, aber so langsam gibt es mehr und mehr Leute, die das machen, wie Dekarldent, der mit linker Kritik auf Nachrichten reagiert, Hakon, der besonders über Veganismus redet, oder Lilischote, die zu trans Themen spricht. Allerdings scheint es keine größere, übergeordnete Strategie dahinter zu geben. Teilweise würde ich da auch Hand of Blood dazu zählen. Und natürlich mich, wobei ich in der Hinsicht einzigartig bin, sowohl Streamerin als auch Politikerin zu sein.
Ist der langsame Vorstoß der Linken der starken Präsenz der Rechten im digitalen Raum geschuldet? Ist die Gamer-Blase durch Streamer wie Asmongold eher rechts?
Schon. Gerade als Frau erlebe ich in der Politik und auch im Gaming viele Anfeindungen. Gaming-Plattformen werden von Rechtsextremen bewusst als Radikalisierungs- oder Einstiegsplattformen benutzt. Gleichzeitig erlebe ich aber auch, dass die Internet- und Gaming-Community für viele junge Menschen ein Safe-Space sein kann, besonders für queere und trans Personen. Es findet beides gleichzeitig statt – doch diese digitalen Orte, die zum Alltag vieler junger Menschen gehören, dürfen wir nicht den Rechten überlassen. Es braucht Gegenrede, mit starkem Inhalt und authentischen linken Content-Creator*innen. Ich könnte zum Beispiel niemals Heidi Reichinnek kopieren. Das funktioniert nicht. Ich muss mich da bewegen, wo ich authentisch bin, wo ich ein normaler Mensch sein kann – und bei mir ist das eben die Gaming-Community. Politik braucht solche »normalen Leute« – Menschen, die zeigen, dass es sich nicht widerspricht, gleichzeitig Abgeordnete, Aktivistin und Gamerin zu sein. Das verbinde ich miteinander. Nerdy, aber kompetent.
Was ist die Idee hinter Ihrem Stream?
Ich will Twitch politisch nutzen, um Politik nahbar und transparenter zu machen – auch für Jugendliche. Gleichzeitig geht es darum, eine linke popkulturelle Hegemonie aufzubauen. Aus meiner Zeit als Schulsozialarbeiterin und in der offenen Kinder- und Jugendarbeit weiß ich, dass man viel Geduld braucht und Jugendliche so annehmen muss, wie sie sind. Also nicht direkt für irgendwas verurteilen, wie Labubu-Plüschtiere oder übermäßigen Tiktok-Konsum. Das Streaming fungiert außerdem als eine Art digitales Bürgerbüro. Für viele Menschen ist das viel niedrigschwelliger, um mit Politiker*innen in Kontakt zu kommen, als zu Veranstaltungen zu gehen. Wer ein Smartphone hat, kann auf Twitch online kommen und anonym eine Frage stellen.
Was sind Ihre Lieblingsspiele?
Meine Lieblingsspielreihe ist »Borderlands« und die »Fallout«-Serie. Aber ich mag auch gerne Indie-Games, weil die meist coolere, innovativere Ideen haben. Ich frage mich dann manchmal, was für Games es wohl geben würde, wenn die Branche nicht von einer Marktlogik getrieben wäre und keine Riesenkonzerne mit Profitinteressen dahinter stünden. Käme dann immer noch jedes Jahr dasselbe »Call of Duty« raus – nur mit anderen Karten? Wenn man sich im Indie-Bereich ein bisschen umschaut, kriegt man schon ein Gefühl dafür, was so möglich wäre. Ich finde das super spannend.
Zocken im Sozialismus – wie stellen Sie sich das vor?
Erst mal braucht es auf jeden Fall gute Arbeitsbedingungen in den Entwicklerstudios. Keine 48-Stunden-Schichten vor Release, keine unfertigen Spiele mehr, die auf Kosten der Arbeiter*innen und User rausgehauen werden. Ein Riesenthema ist auch, welche Geschichten in Videospielen erzählt werden. Ich wünsche mir da mehr Vielfalt – mehr Geschichten von Frauen oder aus Elternperspektiven. Unzählige Games handeln von entpolitisierten Freiheitskämpfen, wo wir oft eine Art faschistische Macht als Gegner haben, gegen die wir uns zur Wehr setzen sollen, aber wir haben nie selber eine politische Agenda. Das ist immer so ein diffuser Freiheitsbegriff. Wir bekommen immer nur dieselbe US-Militärperspektive reingedrückt. Kennen Sie einen einzigen Städtebausimulator, wo es nicht um maximales Wachstum geht? Also wenn ich bei »City Skylines« eine Stadt baue, ist mein Ziel, dass sie möglichst groß wird und ich haue völlig unreflektiert in jedes kleine Viertel eine Polizeistation rein. Warum eigentlich? Warum zwingt mich das Spiel dazu? Spiele sind Träger von Ideologie, genau wie Hollywood.
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