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»Weltoffenes Sachsen«: Dünger für die Zivilgesellschaft
Seit 20 Jahren fördert der Freistaat mit einem eigenen Programm die Demokratie vor allem in der Provinz
Die T-Shirts waren ein Coup. Als die Initiative »Augen auf« im Jahr 2001 im ostsächsischen Zittau ein Musikfestival gegen rechts veranstaltete, hatte sie Lonsdale als Sponsor gewinnen können. Das britische Modelabel war in jener Zeit bei Rechtsextremen sehr beliebt, weil vom Brustaufdruck unter der Bomberjacke die Buchstabenfolge »NSDA« zu sehen war, was an die NS-Partei NSDAP denken ließ. Für das Festival indes lieferte Lonsdale T-Shirts, die den Rechten nicht gefielen, sagt Sven Kaseler: »Auf dem Rücken stand: ›Nazifrei!‹«
Nazifrei – das war in Ostsachsen damals eher ein frommer Wunsch als eine Feststellung. Kaseler, den alle nur »Kasi« nennen, zählt eine ganze Reihe rechtsextremer Vorfälle auf, die ihn und einige Mitstreiter zur Gründung von »Augen auf!« bewogen. In Zittau, wo der NPD-nahe Nationale Jugendblock einen Jugendtreff in der Südstraße betrieb, wurde bei einem Stadtfest eine Lesben- und Schwulenparty im Rathaus von Nazis überfallen, bei einem Stadtfest in Löbau eine Besucherin von Rechten krankenhausreif getreten. »Das war damals an der Tagesordnung«, sagt Kasi. »Wir wollten das nicht hinnehmen.«
»Augen auf!« hielt dagegen und machte sich mit kreativen und engagierten Projekten einen Namen im Dreiländereck. Es gab grenzübergreifende Fußballturniere, Schulprojekte, Konzerttouren. Was es nicht gab, war Geld. »Wir haben das alles im Ehrenamt organisiert«, erzählt Kasi. Zwar konnte man Spenden einwerben und Sponsoren gewinnen. Eine Basis für langfristige Arbeit allerdings war das nicht.
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Dass man Kasi heute in einem Büro des Vereins in Löbau besuchen kann und »Augen auf!« nach bald einem Vierteljahrhundert noch immer aktiv ist, verdankt sich nicht unwesentlich einem Förderprogramm, das jetzt 20-jähriges Jubiläum feiert: »Weltoffenes Sachsen«, kurz WOS. Seit 2005 setze der Freistaat damit »ein klares Zeichen für eine demokratische, vielfältige und inklusive Gesellschaft«, sagte Sozialministerin Petra Köpping (SPD) anlässlich des runden Geburtstags. Landesweit würden aus dem Fördertopf, der im laufenden Jahr mit 9,24 Millionen Euro gefüllt ist, Initiativen und Projekte unterstützt, die »die demokratische Kultur und die freiheitlich demokratische Grundordnung in Sachsen stärken oder Phänomene gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit abbauen helfen«, so Köpping. Bei den Geförderten weiß man das zu schätzen. »Das WOS«, sagt Kasi, »ist für die Demokratie Gold wert.«
Fördergeld für die Stärkung der Demokratie und den Kampf gegen Nazis hatte vor 2005 nur der Bund gegeben. Im Freistaat hatte Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) noch 2000 postuliert, die Sachsen seien »weitgehend immun« gegen Rechtsextremismus. Vier Jahre später kam die NPD bei der Landtagswahl im Herbst 2004 auf 9,2 Prozent und zog erstmals seit 1968 wieder in ein Parlament ein. Die neue Regierung, an der erstmals die SPD beteiligt war, schuf das »WOS« und damit »eines der ersten derartigen Landesprogramme überhaupt«, sagt Michael Nattke vom Kulturbüro Sachsen. »Das war für die vielen kleinen Demokratie-Initiativen ein riesiger Schritt.«
Allerdings galten diese zunächst nicht als die wesentlichen Adressaten des Förderprogramms. Die CDU wollte anfangs mehr als die Hälfte der zunächst 2 Millionen Euro im WOS-Topf für eine Imagekampagne des Landes ausgeben. Sie sollte ein »langfristig positives Bild« des durch den NPD-Wahlerfolg in Misskredit geratenen Freistaats befördern. Erst auf Druck der erstmals mitregierenden SPD wurde der Anteil der Mittel, der an zivilgesellschaftliche Initiativen ging, erhöht.
Um die Frage, wer in den Genuss der WOS-Förderung kommen sollte, gab es immer wieder Diskussionen. 2012 etwa wurde das Programm für Anträge von Feuerwehren, Sportvereinen oder Jugendverbänden geöffnet, was zur Folge hatte, dass Opfer- und andere Beratungsstellen, die im engeren Sinn die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus führten, 40 Prozent ihrer Mittel verloren. Es gab hitzige Debatten. Im Rückblick hält Michael Nattke den Ansatz für richtig: »Wenn eine Jugendfeuerwehr eine Bildungsfahrt in eine Gedenkstätte unternimmt – warum sollte das nicht gefördert werden?!« Schon damals zeigte sich freilich, dass es deutlich mehr Interessenten als Mittel gibt. Obwohl das Programm gegenüber 2005 mittlerweile auf fast die fünffache Summe aufgestockt wurde, ist es regelmäßig überzeichnet, und immer wieder gehen Antragsteller leer aus.
Michael Nattke sieht darin allerdings auch einen Beleg für die Wirksamkeit des Programms. Wenn man das WOS als Programm gegen Rechtsextremismus verstehe, »muss man sich ja fragen, wie erfolgreich es war«, sagt er. 2005 stand die NPD im Freistaat bei knapp 10 Prozent, 2025 sitzt die ebenfalls als rechtsextrem eingestufte AfD nach einem Wahlergebnis von 27,5 Prozent als stärkste Oppositionspartei im Landtag.
Definiere man das Weltoffene Sachsen allerdings als Förderprogramm für eine demokratische Zivilgesellschaft, »hat es extrem viel bewirkt«, sagt Nattke. Vor 20 Jahren habe es in Sachsen vor allem in ländlichen Regionen nur sehr wenige entsprechende Initiativen und Vereine gegeben, die – so wie »Augen auf!« in der Oberlausitz – zudem in aller Regel unter prekären Bedingungen arbeiteten. Heute verfügen viele von ihnen über feste Büros und haben zumindest einen oder einige feste Mitarbeiter. Das Netzwerk Tolerantes Sachsen, in dem derlei Initiativen kooperieren, zählte 2005 noch 60 Mitglieder. Heute sind es 150, die sich zwischen Plauen und Weißwasser »für demokratische Kultur und vielfältige Lebensweisen« einsetzen. »In Sachen Demokratieförderung war das Programm total erfolgreich«, sagt Nattke.
Ein indirektes Indiz dafür sind auch die Anfeindungen, denen das WOS von rechts ausgesetzt ist. Die NPD wollte das frisch aufgelegte Programm einst umgehend wieder streichen lassen. Begründung: Es fördere die Entstehung einer »Staats-SA«, die »demokratische Dissidenten terrorisieren« solle. Auch ein »Bürgerkrieg gegen rechts« wurde von der Partei an die Wand gemalt.
Die AfD greift nicht auf derart martialisches Vokabular zurück; sie spricht davon, dass »linksgrüne Nichtregierungsorganisationen« dank der Förderung aus dem Programm »Kritiker derzeitiger Politik mundtot« machen wollten. Für den Fall einer Regierungsbeteiligung kündigte aber auch sie an, das WOS umgehend zu streichen. Der Einspareffekt wäre marginal. Nattke merkt an, dass die in dem Fördertopf aktuell eingestellten gut 9 Millionen Euro in Relation zum Gesamtetat von weit über 20 Milliarden »zu vernachlässigen« seien. Dass sich die AfD dennoch derart auf das Thema kapriziere, »zeigt aber, dass das Programm nicht ganz unwirksam sein kann«.
Auf Landesebene kann die AfD in Sachsen zumindest bislang nicht mitentscheiden, wofür Fördermittel ausgegeben werden. In den Kommunen sieht das schon anders aus – was die Bedeutung von Förderprogrammen wie WOS noch einmal erhöht hat. »Für uns«, sagt etwa Martina Glass, Geschäftsführerin beim Netzwerk für demokratische Kultur (NDK) in Wurzen, »ist es derzeit ein Rettungsanker.«
Das NDK wurde Ende der 90er Jahre gegründet und gehört heute zu den bekanntesten Demokratievereinen in Sachsen. Es engagiert sich für Weltoffenheit und Toleranz, ist in vielen Bereichen der politischen Bildung aktiv und befördert nicht zuletzt das gesellschaftliche Miteinander in Wurzen. Sein Domizil am Domplatz 5 war bisher Treffpunkt für Engagierte, es gab Kulturveranstaltungen und eine Werkstatt. Dafür gab es auch eine Förderung von der Kommune. Die aber steht infrage. Im Frühsommer verweigerte der Stadtrat, in dem AfD und CDU je sieben Abgeordnete stellen, in geheimer Abstimmung mit zwölf Stimmen den sogenannten »Sitzgemeindeanteil« von 12 900 Euro, der notwendig ist, damit das NDK Fördermittel von einem der sächsischen Kulturräume erhält. Der Verein sprach von einem »dezidiert politisch motivierten Angriff auf einen alternativen Teil der demokratischen Zivilgesellschaft«.
Dank einer Spendenkampagne gelang es seither zwar, die Mittel aufzutreiben. Doch ob der Stadtrat in seiner nächsten Sitzung am 9. September die zweckgebundenen Mittel tatsächlich annimmt, sei unklar, sagt Glass: »Ich halte es für nicht unwahrscheinlich, dass sie abgelehnt werden.« Damit stünden viele der Angebote, die das NDK bisher für die Stadtgesellschaft bereitgestellt hat, zur Disposition. »Als offenes Haus würde es das D5 in der bisherigen Form nicht mehr geben«, sagt Glass. Gänzlich einstellen allerdings müsste das NDK seine Arbeit auch nicht, weil 60 bis 70 Prozent der Fördergelder vom Land kommen, darunter auch aus dem Programm Weltoffenes Sachsen. Die Bildungsarbeit an Schulen im Landkreis kann weitergehen, auch andere Angebote werden fortgesetzt. »Programme wie das WOS sorgen dafür, dass wir nicht gleich nach Hause gehen müssen«, sagt Glass.
»Programme wie das ›Weltoffene Sachsen‹ sorgen dafür, dass wir nicht gleich nach Hause gehen müssen.«
Martina Glass NDK Wurzen
Um in den Genuss der Förderung zu kommen, muss indes viel Zeit und Mühe investiert werden. Das Antragsverfahren gilt als äußerst aufwendig und bürokratisiert. »Wer keine Verwaltungserfahrung hat, tut sich da extrem schwer«, sagt Michael Nattke vom Kulturbüro. Martina Glass, die beim NDK seit neun Jahren die Geschäfte führt, hält ihren Verein zwar mittlerweile für »ausreichend professionalisiert«, um erfolgreiche Anträge einreichen zu können. Kleinere und neuere Initiativen könnten von der damit verbundenen Bürokratie aber leicht überfordert sein, und die zunehmende Digitalisierung des Antragsverfahrens habe »die Dinge noch weiter erschwert«.
Kritik gab es lange Zeit auch daran, dass Anträge nach Wohlgefallen bewilligt oder abgelehnt wurden. Bei »Augen auf!« in Löbau kann man davon ein Lied singen. Der Verein wehrte sich 2010 mit einer satirischen Kampagne gegen die Vorgabe des Innenministeriums, dass geförderte Vereine eine »Extremismusklausel« unterzeichnen und sich dabei auch für die Verfassungstreue ihrer Kooperationspartner verbürgen sollten. Sven Kaseler tourte damals mit Perücke und Kostüm als »Karl Klausel« durch den Freistaat und vertrieb, unterstützt von entsprechenden Werbeplakaten, »Extremis-Mus« in Gläsern. Beim Landespräventionsrat, der über die WOS-Förderung entschied und beim Innenministerium angesiedelt war, kam das nicht gut an. »Man hat uns das Leben sehr schwer gemacht«, erinnert sich Kasi. Anträge für das laufende Jahr wurden erst im Herbst bewilligt, teils wurde die Zusage nachträglich sogar widerrufen: »Das wurde für uns fast zum Trauma.«
Später wurde das Verfahren geändert. Heute wird über die Anträge bei der Sächsischen Aufbaubank (SAB) nach einem Punktesystem entschieden. Manche Kritiker fragen, ob Banker genügend fachliche Kompetenz in Sachen Demokratieförderung besitzen. Michael Nattke vom Kulturbüro würde sich wünschen, dass ein Fachbeirat »das letzte Wort hat und die inhaltliche Auswahl trifft«. Bei »Augen auf!« ist man mit der jetzigen Konstellation indes zufrieden: Die SAB leiste gute Arbeit, »und inzwischen bieten sie uns Trägern sogar Beratung an«, sagt Kaseler, bevor er sich in eine entsprechende Videokonferenz verabschiedet.
Der eigentliche »Pferdefuß«, sagt NDK-Geschäftsführerin Martina Glass, sei ohnehin ein anderer: Die Förderung durch das WOS sei befristet. Zwar werden Anträge mittlerweile für drei Jahre bewilligt und nicht mehr nur für zwölf Monate. Das hatte zur Folge, dass man »den neuen Antrag schon schreiben musste, während man den alten noch abrechnet«, so Kaseler; zudem passierte es immer wieder, dass zum Jahresende noch nicht über eine Förderung entschieden war und erfahrene Mitarbeiter gekündigt werden mussten. Inzwischen gibt es etwas längerfristige Sicherheit. Eine dauerhafte, sogenannte institutionelle Förderung aber ist immer noch nicht möglich. Wenn ein Träger einen neuen Antrag stellen wolle, müsse dieser »immer etwas ganz Neues« beinhalten, sagt Glass.
Zum 20. Geburtstag des Programms wünscht sich Michael Nattke denn auch eine Weiterentwicklung der Demokratieförderung. »Wenn ein Projekt funktioniert, sollte es dauerhaft gefördert werden«, sagt er, und zwar idealerweise vom zuständigen Ministerium: »Für einen guten Projektschultag sollte das Kultusministerium Geld geben, für einen Workshop bei Sicherheitsbehörden das Innenministerium.« Das gäbe Trägern mehr Sicherheit – und würde im Programm Weltoffenes Sachsen zugleich Platz schaffen für neue Ideen und Initiativen. Ob es dazu irgendwann kommt, ist offen. Derzeit sind die Träger erst einmal froh, dass die während der Haushaltsverhandlungen im Raum stehenden Kürzungen beim WOS abgewendet werden konnten – und dass die AfD im Landtag bei der Mittelvergabe noch nicht mitzureden hat. Eine Regierungsbeteiligung der Partei im Freistaat, hatte Nattke schon vor der Landtagswahl 2019 gesagt, wäre »das Todesurteil für die Demokratiearbeit in Sachsen«.
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