»Mit Genugtuung die Anklage zur Kenntnis genommen«

Alexander Hoffmann vertritt den Nebenkläger Ahmad E. im Prozess um den Mord an Walter Lübcke

  • Johanna Treblin
  • Lesedauer: 5 Min.

Holger Matt, der Anwalt der Familie Lübcke, hat den Auftakt des Prozesses am Dienstag »schwer erträglich genannt«. Sehen Sie das genauso?

Es war für die Angehörigen des Ermordeten Walter Lübcke sicherlich immens schwierig, die Situation auszuhalten, dem mutmaßlichen Mörder in die Augen zu sehen. Für mich und für meinen Mandanten war es auch eine schwierige Situation. Er war zum ersten Mal mit der Person konfrontiert, die ihn vermutlich mit dem Messer niedergestochen hat. Dann wurden stundenlang Anträge von den Verteidigern von Ernst und H. gestellt, von denen vollständig klar war, dass sie keinen Erfolg haben würden und die nur gestellt wurden, um die Verteidiger in der Öffentlichkeit gut darzustellen.

Vor dem Prozess haben Sie gesagt, Ihr Mandant Ahmad E. werde zum Prozessauftakt kommen und dann schauen, wie es ihm damit geht. Nun war er den ersten Tag da, wird er auch weiterhin teilnehmen?

Wir haben bisher besprochen, dass er so oft kommt, wie es ihm möglich ist, wenn es um Aussagen geht, die den Messerangriff auf ihn betreffen. Für ihn ist das ja gar nicht so einfach: Er bekommt beispielsweise die Kosten für die Anreise nicht erstattet, weil er nicht verpflichtet ist, am Prozess teilzunehmen - er hat ja mich. Er kann kommen, oder er kann es sein lassen.

Wie hat er den Auftakt wahrgenommen?

Er hat mit Genugtuung die Anklage der Bundesanwaltschaft zur Kenntnis genommen.

Mit Genugtuung?

Ja, man hat ihm jahrelang gesagt, man wisse nicht, wer ihn attackiert hat, und der Angriff wurde auch nicht als rassistisch motivierte Tat geführt. Jetzt hat er mit Genugtuung zur Kenntnis genommen, dass die Bundesanwaltschaft davon überzeugt ist, dass man mit Stephan Ernst den richtigen Täter gefasst hat und dass die Tat als versuchter Mord eingestuft wird, der aus rassistischen Beweggründen begangen wurde.

Die Verteidigung von Markus H. hat es als ungewöhnlich moniert, dass in der Anklage politische Motive für den Mord an Walter Lübcke angeführt werden. Direkt im ersten Satz wird dem mutmaßlichen Täter Stephan Ernst eine »völkisch-nationalistische Grundhaltung« zugeschrieben. Die teile auch Markus H., der der Beihilfe angeklagt ist.

Was der Kollege gesagt hat, ist Unfug. Die Tatmotivation spielt eine zentrale Rolle für diese Tat und ihre strafrechtliche Aufarbeitung. Nicht umsonst haben wir sowohl im Tatbestand des Mordes die Notwendigkeit eines sogenannten Mordmerkmales, das wäre hier eine niedrige Gesinnung; und da würde man eine rassistische Tat, die durch eine völkisch-nationalistische Ideologie bestimmt ist, natürlich einordnen. Das Strafgesetzbuch sieht außerdem die Notwendigkeit, die Tatmotivation genau zu bestimmen. Und wenn sie wie hier offen zutage liegt, dann ist es die Pflicht der Bundesanwaltschaft, sie zu benennen.

In anderen Fällen, in denen eine rassistische Motivation ebenso offensichtlich ist, spielt sie vor Gericht dennoch keine Rolle. Bewerten Sie es als positiv, dass das hier so explizit genannt wird?

Positiv, ja. Aber es ist kein besonderer Verdienst. Wo es in anderen Fällen unterschlagen wird, ist es ein Skandal. In Verfahren, an denen ich beteiligt bin, sorgen wir regelmäßig dafür, dass ein rassistisches Tatmotiv auch als solches benannt wird.

Sie haben im NSU-Prozess einen Nebenkläger vertreten. Zwei der Anwälte der Gegenseite kennen Sie aus dem Prozess. Einer von ihnen, Mustafa Kaplan, hat jetzt sozusagen die Seiten gewechselt. Wie gehen Sie damit um?

Herr Kaplan kann jeden beliebigen Täter verteidigen, aber ungewöhnlich finde ich es schon. Vor allem, da das Verfahren gegen Beate Zschäpe noch nicht abgeschlossen ist. Er vertritt jetzt im Revisionsverfahren Opfer rassistischer, neonazistischer Gewalt, und gleichzeitig vertritt er hier einen solchen - mutmaßlichen - Täter. Allerdings hat er sich im NSU-Prozess nicht besonders eingebracht und hat sich dort auch eher für eine Entpolitisierung des Verfahrens ausgesprochen. Insofern ist es jetzt konsequent, dass er Stephan Ernst vertritt.

Angehörige der Opfer zeigten sich nach der Urteilsverkündung im NSU-Prozess enttäuscht, weil es keine umfassende Aufklärung eines rechten Terrornetzwerkes gab. Haben Sie die Hoffnung, dass aus dem NSU-Prozess Lehren gezogen wurden und das Gericht hier nun einen weiteren Blick auf die Netzwerke werfen wird?

Das Urteil im NSU-Prozess hat Nazitäter ermutigt, weil sich das Gericht darum gedrückt hat, die Funktionsweise der militanten Naziszene darzustellen. Wir werden darum kämpfen, dass es in diesem Verfahren anders wird. Und ich denke, der politische Druck zur Aufklärung der zugrunde liegenden Netzwerke hat auch zugenommen.

Stephan Ernst und Markus H. gelten als enge Freunde: Sie waren Arbeitskollegen, nahmen gemeinsam an Demonstrationen teil, machten zusammen Schießübungen. Im Gericht treten sie nun als Kontrahenten auf. Halten Sie das für konstruiert?

Das ist häufig in Strafverfahren so, dass ehemalige Freunde oder Komplizen angeklagt sind und gegeneinander aussagen. Wenn es um lebenslang geht, dann ist sich natürlich jeder selbst der Nächste und versucht, das beste für sich herauszuholen. Ich bin ziemlich überzeugt, dass das keine strategische Finte ist, die hätte man schlauer gemacht.

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