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Kein Neustart nach der Krise

Europaabgeordnete der Linkspartei sehen die deutsche EU-Ratspräsidentschaft kritisch, aber auch als Chance

Milliarden für die Menschen, nicht für Rüstung

Von Özlem Alev Demirel

Seit Monaten reden wir über Corona und die Folgen der Pandemie. Meines Erachtens zeigt die Pandemie die Fehler des ökonomischen, politischen Systems sehr deutlich.
Doch etwas ist anders im Moment auf der europäischen Ebene. Es geht um den Bereich der militärischen Zusammenarbeit. Wir erinnern uns vielleicht daran, dass Frau Kramp-Karrenbauer als CDU-Vorsitzende damals in ihrer Vision für die EU auch einen Flugzeugträger skizzierte, der auf europäischer Ebene hergestellt wird. Wir erinnern uns vielleicht auch daran, das Herr Macron, der französische Präsident, als eines der wesentlichen und wichtigen Themen für diese Legislaturperiode die Verteidigungsunion nannte.

Nachdem Großbritannien sich entschieden hat, aus der EU auszutreten, nutzten Deutschland und Frankreich die Chance, um in den Bereich der militärischen Kooperation einen Schritt weiter zu kommen. Es wurde Pesco eingerichtet, womit nicht nur Mitgliedsstaaten verpflichtet wurden, stetig ihre Militärausgaben zu erhöhen, sondern die militärische Kooperation verstärkt vorangebracht wird. Jetzt kommen die nächsten Vorhaben, die auch erstmalig im europäischen mehrjährigen Finanzrahmen verankert werden sollen. Der Europäische Verteidigungsfonds soll zum Beispiel dazu dienen, dass man die Erforschung und Beschaffung von großen, auf europäischer Ebene hergestellten Kriegsgerät besser fördern kann. Es sollen Milliarden zur Verfügung gestellt werden für Weltraumprogramme, die auch militärisch genutzt werden. Oder für Infrastrukturmaßnahmen, die die Verlegbarkeit vom Kriegsgerät erleichtern sollen.

Insgesamt will die Kommission im mehrjährigen Finanzrahmen 25 Milliarden Euro für solche Projekte ausgeben. Diese Aufrüstungsspirale wird eher die Kriegsgefahr erhöhen.
Viele Europäer*innen stehen jetzt mit der Corona-Pandemie vor der Frage, das sie nicht wissen wie sie über die Runden kommen. Einkommen sind weggebrochen, Arbeitsplätze wurden teilweise abgebaut. Darum sollte sich die EU kümmern, nicht um Aufrüstung.

Gemeinsam, sozial und ökologisch

Von Cornelia Ernst

Durch die Coronakrise scheint sich gerade einiges zu verändern. Zum Beispiel, dass früher die Banken als systemrelevant eingeschätzt wurden – und plötzlich stellen wir fest, es sind die Pflegekräfte, es sind die Menschen im sozialen Bereich, es sind die Verkäuferinnen und Verkäufer, die für unsere Versorgung tatsächlich alles getan haben. Wir sehen nun, was wirklich wichtig ist im Leben, und dass wir diese Bereiche sehr viel stärker unterstützen müssen, besser finanzieren müssen.

Und wenn wir das alles gut machen wollen und natürlich auch unsere Erde retten wollen, dann geht das ohne Bekämpfung des Klimawandels eben nicht. Wir müssen das alles zusammen hinbekommen. Wir müssen aus der Kohle aussteigen, wir müssen Arbeitsplätze schaffen und den Wiederaufbau gut hinbekommen, gemeinsam, sozial und ökologisch.

Aber es gibt noch eine Reihe von anderen drängenden Themen, die uns im Europaparlament beschäftigen. In erster Linie ist es natürlich die Migration, die Situation in Griechenland, auf den Inseln, in den Hotspots, die einfach katastrophal ist. Aber es sind auch solche Fragen wie solche, dass man in Ungarn plötzlich Transgendern Namensänderungen verbietet und dafür auch ein Gesetz ändert. Wir beschäftigen uns auch damit, dass zum Beispiel die Abtreibungsfrage in Polen nach wie vor so geregelt ist, das es eigentlich kaum möglich ist eine Abtreibung vorzunehmen. Und damit sieht man, das die Coronakrise zugleich auch eine Demokratiekrise ist und dagegen müssen wir etwas tun.

Ich glaube, die große Losung, die wir in die Welt hinaustragen müssen, heißt Solidarität, heißt, niemanden zu vergessen. Und wir dürfen auch nicht die Geflüchteten an den EU-Außengrenzen vergessen. Und es reicht auch nicht, schöne Reden zu halten, Appelle in die Welt zu setzen. Es geht darum zu handeln. Und deshalb bin ich sehr stolz, dass Berlin, Thüringen und Bremen bereit sind und sich auch als Regierungen stark gemacht haben, Flüchtlinge aufzunehmen.

Programm der leeren Worthülsen

Von Martina Michels

Die deutsche Ratspräsidentschaft soll unter dem Motto stehen »Europa gemeinsam wieder fit machen«. Das erinnert mich ein bisschen an Trumps »Make America great again«. Wir müssen aber ganz genau hingucken: Es gibt da sehr viele Stichworte, ganz viele Slogans – die Corona-Folgen meistern, den Klimawandel bekämpfen, die Digitalisierung voranbringen und und und ... Nur: Das ist alles nicht durchsetzbar. Nehmen wir das Stichwort Digitalisierung, die hat sich die deutsche Ratspräsidentschaft als Schwerpunkt auf die Fahne geschrieben.

Mit der Digitalisierung ist es aber ein bisschen so wie mit einem Restaurant, das ich jetzt wieder öffnen, aber dort eben keine Speisen anbieten kann. Weil es nämlich bei der gesamten Infrastruktur klemmt, ohne die die Digitalisierung eine leere Worthülse bleibt. Wie eben vieles auf der Agenda der deutschen Ratspräsidentschaft. Oder nehmen wir das große Stichwort der Kultur. Die bleibt völlig unterbelichtet und kommt in vielen EU-Programmen schlicht gar nicht vor.

Vor Corona war für die deutsche Ratspräsidentschaft eine große Kulturkonferenz im Gespräch. Geblieben ist nun eine Veranstaltung Ende des Jahres »Frauen in der Kultur«. Das ist sicher ein wichtiges Thema, aber ebenso sicher nicht die ganz große Kulturkonferenz. Und ganz letztlich ist ja auch die Frage, wo das Geld für die ganzen Vorhaben herkommen soll, ungelöst. Der mehrjährige Finanzrahmen ist ja immer noch nicht in trockenen Tüchern.

Insofern ist die deutsche EU-Ratspräsidentschaft von der Konzeption her alles andere als ein Konzept, das der Anforderung, gerade nach Corona Europa anders zu gestalten, gerecht wird. Deutschland muss nach unserer Meinung als Linke als Präsidentschaft einen Paradigmenwechsel in der Europäischen Union einleiten. Also die Chance nutzen und sagen, wir müssen jetzt nicht nur das Wiederaufbaupaket schnüren, wir müssen jetzt nicht nur den Ausweg aus der Coronakrise für die nächsten Monate und Jahre suchen, sondern wir müssen gleichzeitig die Dinge an der Wurzel anpacken. Und dazu zählen eben Punkte wie Kultur und Digitalisierung.

Wer bezahlt für die Krise?

Von Martin Schirdewan

Wir erkennen jetzt erst das ganze Außmaß der Folgen des Ausbruchs der Corona-Pandemie sowohl im wirtschaftlichen als auch im sozialen Gefüge. Fest steht, es ist der massivste Einbruch des Wirtschaftswachstums seit dem Zweiten Weltkrieg, und wir hören die Ankündigungen verschiedener größerer Unternehmen, Beschäftigte entlassen zu wollen. Wir werden es mit einer massiven sozialen Krise zu tun bekommen.

Für uns als Linke im Europäischen Parlament ist die Leitfrage: Wer soll für die Krise zahlen? Wir haben nach dem Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise erlebt, das insbesondere die Bevölkerung der südeuropäischen Länder in der Europäischen Union für diese Krise zu Kasse gebeten wurde mit einer brutalen Austeritätspolitik, mit einer brutalen, unter dem Namen Troika bekannt gewordenen Fernsteuerung durch Europäische Institutionen, die Kommission, die Zentralbank und den Internationalen Währungsfonds. Da wurde massiv privatisiert, da sind soziale Sicherungssysteme zusammengestrichen worden ebenso wie die öffentliche Daseinsvorsorge, da ist öffentliches Eigentum verschleudert worden. Das alles darf sich nicht wiederholen.

Eine weitere Konfliktlinie ist: Wie sieht das Model der Europäischen Union der Zukunft aus? Wo wollen wir hin? Wie sehen neben den sozialen Kämpfen, die uns jetzt lange Zeit begleiten werden, jene zur Zukunft der EU aus? Hier müssen wir ganz klar sagen, dass die Antwort an die wirtschaftliche Wiederbelebung, aber auch an die soziale Wiederbelebung, den sozialen Wiederaufbau nach der Coronakrise ganz klar auch an eine sozial-ökologische Transformation, eine »Green Transition« gebunden sein muss. Und das gleichzeitig auch Fragen beantwortet werden, wie zum Beispiel der digitale Umbau von Wirtschafts- und Arbeitswelt zu gestalten ist. Um eben in diesem Zusammenhang die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht als Verlierer dastehen zu lassen. Heute müssen wir klug die Weichen für die Zukunft Europas stellen.

Die Realität in 27 EU-Staaten mitdenken

Von Helmut Scholz

Die Europawahlen im vergangenen Jahr waren ein Weckruf waren. Einerseits, weil sie seit langem wieder eine gestiegene Wahlbeteiligung mit sich gebracht haben. Andererseits haben viele Bürgerinnen und Bürger zum Ausdruck gebracht: Ja, es ist wichtig, dieses Konstrukt EU zu erhalten, und ja, es ist zugleich sehr wichtig, die Konstruktion der EU zu verändern. Darauf muss sich auch Die Linke einstellen. Das heißt, wir müssen uns in diese Prozesse gesellschaftlicher Auseinandersetzung viel aktiver einbringen, nicht sozusagen am Rande stehen, kommentieren und dann gucken, was passiert. Sondern wir müssen versuchen, Verantwortung zu übernehmen. Das halte ich für eine ganz zentrale Fragestellung, der sich die Linke stellen muss.

Ein Beispiel: Wenn im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern im Jahr 2021 gewählt wird, ist da »auch Europa drin«. Zum Beispiel, weil der Landeshaushalt von europäischen Geldern mitgestaltet wird. Das gleiche gilt für Brandenburg und Berlin, für Sachsen, für Bayern oder für Baden-Württemberg. Zu sagen, hier ist die Region, hier das Land, darum kümmern wir uns, und dann müssen wir noch ein bisschen Europa machen, das funktioniert so nicht. Wenn wir auf dem kommenden Parteitag strategische Aussagen treffen und das Programm für die Bundestagswahlen entwickeln, muss das im Zusammenhang mit der Realität von 27 EU-Mitgliedstaaten gedacht werden.

Bei uns in der Linksfraktion im Europaparlament funktioniert das recht gut. Im Artikel 14 des Lissabon-Vertrages ist die Rolle der Europaabgeordneten so beschrieben, dass sie Vertreter für alle Mitgliedstaaten in der Europäischen Union sind. Wir haben also nicht den Auftrag, zuförderst zurückzugucken auf die jeweiligen nationalen Verhältnisse, sondern in den Mittelpunkt zu stellen, wie denn europäische Politik ausgestaltet werden muss, damit sie den Erwartungen von Bürgerinnen und Bürgern in allen Staaten entspricht. Und ich finde, das ist auch ein ganz wichtiger Punkt auch für die Partei Die Linke.

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