Noch kein Zurück zur Routine

Fachärzte für Innere Medizin verweisen auf Herausforderungen der Kliniken und komplexe Verläufe von Covid-19

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 4 Min.

Während in vielen Bereichen des Alltags jetzt Lockerungen möglich werden, gibt es für andere die einfache Rückkehr zur Normalität nicht. Dazu gehören die Krankenhäuser und die dort Beschäftigten. Die relative Atempause vor einer möglichen zweiten Krankheitswelle nutzen die Fachärzte für Innere Medizin, um Veränderungsbedarf in der Versorgung anzumelden.

Mit dem Aufflammen der Corona-Pandemie Anfang des Jahres war auch für Fachleute nicht absehbar, wie viele Erkrankte es geben würde und ob die Behandlungskapazitäten ausreichen würden. Georg Ertl, ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums Würzburg, schildert das für seinen Arbeitsbereich: Dort hatte man bis zu 200 Corona-Patienten in der Intensivmedizin erwartet, bis zu 500 auf den normalen Stationen. Es waren dann bis Ende Juni 161, davon 37 auf der Intensivstation. »Das ist noch einmal gut gegangen«, kommentiert der Würzburger Kardiologe, der auch Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin e. V. ist. »Die niedrigen Zahlen sind auch Folge der massiven Einschränkungen des Normalbetriebs.« Dafür wurden sogenannte selektive Eingriffe verschoben, also solche, die nicht dringlich sind. In allen deutschen Krankenhäusern insgesamt wurden von März bis Juni mindestens 30 Prozent weniger Leistungen abgerechnet als normal üblich. Doch auch die verschobenen Operationen, zum Beispiel von Tumoren, werden irgendwann zwingend, erklärt Ertl. Auch in Würzburg kamen in den vergangenen Monaten weniger Herzinfarktpatienten. »Aber es gab auch mehr Wohnungsöffnungen. Patienten hatten sich nicht gemeldet, und zu Hause gab es dann schlimme Ereignisse.«

Zu den Schlussfolgerungen des Mediziners gehört die Notwendigkeit, Infektionsstationen aufzubauen und mehr Fachpersonal für diesen Bereich zu gewinnen. Die Stationen sollten außerhalb der Covid-19-Saison flexibel nutzbar sein. Ertl kann sich zudem die Umwandlung von Aufwachräumen und Operationssälen zu Intensivstationen vorstellen. Bei einem Vorlauf von zwei bis drei Tagen sollte das machbar sein, wenn auch geschultes Personal vorhanden ist und dorthin versetzt werden kann.

Kritisch sieht Ertl bis jetzt die Organisierung einer Vorratshaltung von Medikamenten und Schutzmaterial in den Krankenhäusern. Die Kosten dafür werden in den Fallpauschalen nicht abgebildet. Noch sei nicht klar, wer sie tragen wird, im Katastrophenfall stehe der Staat in der Verantwortung.

Ein anderer Aspekt bei der Behandlung der an Covid-19 Erkrankten sind nicht nur die Kapazitäten der Intensivmedizin, sondern auch die Erkenntnisse, die in deutschen Krankenhäusern in diesen Abteilungen gewonnen wurden. Von den Patienten mit einem schweren Verlauf mussten hierzulande bislang 15 Prozent intensivmedizinisch behandelt werden. Die mittlere Sterblichkeit bei diesen Patienten liegt bei knapp 50 Prozent. Von denjenigen, die auf Normalstationen behandelt werden konnten, starben durchschnittlich 20 Prozent.

Als Besonderheit bei den schweren Verläufen nennt Tobias Welte von der Medizinischen Hochschule Hannover eine durchschnittliche Dauer der Beatmung von zweieinhalb Wochen. Das sei das Vielfache von anderen Infektionen, bei denen die Lunge betroffen ist. »Die Infektion kommt langsam, aber sie hält auch lange an. Das bindet natürlich Ressourcen auf den Intensivstationen«, erklärt der Internist. Er musste zudem beobachten, dass Covid-19 alle Organsysteme angreifen kann, wodurch die Sterblichkeit ansteige. »Eine interdisziplinäre Behandlung durch gut ausgebildete Internisten ist also zentral«, sagt der Mediziner.

Immerhin kann er auch darauf verweisen, dass nach den Zahlen von 900 deutschen Krankenhäusern die Sterblichkeit in den Kliniken im Verlauf gesunken ist: Von fast 30 Prozent am Anfang der Erkrankungswelle auf 18 Prozent sieben Wochen später.

Obduktionen in Zürich hatten ergeben, dass die innere Zellschicht (das Endothel) von Blutgefäßen in der Lunge geschädigt wird. Welte berichtet von Neubildungen nicht intakter Gefäße, in denen Blutgerinnsel entstehen. Andere Organe seien ebenfalls betroffen, darunter der Darm und die Nieren, vermutlich auch das Zentrale Nervensystem. »Wir haben es also nicht einfach mit einer Lungenerkrankung, sondern mit einer systemischen Krankheit zu tun.« Wie sein Würzburger Kollege votiert auch Welte für die Behandlung durch gut ausgebildete Internisten. Mehrere Fachgesellschaften haben im Laufe der Pandemie schon zweimal Empfehlungen für die intensivmedizinische Behandlung zusammengefasst. Daraus ergibt sich unter anderem, dass eine frühe Lagerung der Patienten auf dem Bauch den Gasaustausch in der Lunge erleichtert.

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Ein weiteres Phänomen sind laut Welte die Langzeitkomplikationen bei Covid-19, auch Post-Covid-Syndrom genannt. Die Patienten leiden unter Fatique, einer schweren Form von Müdigkeit und Erschöpfung, vertragen körperliche Belastung kaum, neigen zu Albträumen und Vergesslichkeit. Diese Beschwerden sollten auf jeden Fall ernst genommen und gut nachkontrolliert werden. Das Syndrom trete auch bei Menschen auf, die nur leicht erkrankt waren.

Insgesamt wurden bislang in deutschen Krankenhäusern rund 30 000 Covid-19 Patienten behandelt. Es gab bisher mehr als 9000 Todesfälle.

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