»Wir können nicht warten, wir wollen die Freiheit jetzt«

Der Bürgerrechtsveteran und Demokraten-Abgeordnete John Lewis ist im Alter von 80 Jahren gestorben

  • Moritz Wichmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Beim geschichtsträchtigen »March on Washington« 1963 war John Lewis der jüngste der Redner – und ein besonders radikaler. »Einige dachten, meine Rede wäre vielleicht etwas zu militant«, erzählte Lewis 2013 dem amerikanischen Fernsehsender CBS. Martin Luther King habe ihn gebeten, die Rhetorik seiner Rede »etwas zu reduzieren«.

Eigentlich wollte der damals 23-Jährige erklären, man werde »den Jim-Crow-Süden niederbrennen«. Er wollte US-Präsident John F. Kennedy kritisieren, dessen Zugehen auf die Bürgerrechtsbewegung sei »zu wenig, zu spät«.

Etwas später im Redemanuskript war eigentlich eine leidenschaftliche Kritik an Amerikas weißen Liberalen geplant, die eine vorsichtige Politik der kleinen Fortschritte propagierten – eine Gruppe vor denen später Malcolm X und andere Schwarze Radikale warnten: »Ihr sagt uns, wir sollen geduldig sein, ihr sagt uns, wir sollen warten. Aber wir können nicht warten. Wir wollen unsere Freiheit und wir wollen sie jetzt«.

Seinem persönlichen »Held« Martin Luther King zuliebe hielt Lewis dann eine leicht geänderte Rede vor den Zehntausenden Zuschauern unweit des Weißen Hauses. Die Anekdote kann vielleicht stellvertretend gesehen werden für das Leben von Lewis, der im System arbeitete, aber auch an die Grenzen dessen ging, was möglich war.

Als Sohn schwarzer Farmer aus Troy, Alabama, hatte Lewis im Alter von sechs Jahren wegen der rigiden Segregation im Staat erst zwei Weiße gesehen. Besuche bei Verwandten im »integrierten« Norden und Radioansprachen von Martin Luther King machten ihn zum Aktivisten. Als Student wurde er mehrmals verhaftet, als er und andere Aktivisten per »Sit-in« gegen die Segregation in den Bars von Nashville protestierten.

1965 führte er als Vorsitzender der Bürgerrechtsorganisation »Student Nonviolent Coordinating Committee« einen Protestmarsch über die Edmund Pettus Bridge in Selma, Alabama an. Die 600 Demonstranten wurden mit Tränengas, berittener Polizei und Schlagstockeinsatz gestoppt. Der Tag ging wegen der brutalen Polizeigewalt als »Bloody Sunday« in die Geschichtsbücher ein. Lewis trug einen Schädelbruch davon – und eine Narbe über seiner Stirn, die ihn zeitlebens begleiten sollte.

In den 70er Jahren sorgte er als Direktor des »Voter Education Project« für die Aufnahme von vier Millionen Schwarzen auf die Wählerlisten von US-Südstaaten. Von 1986 bis 2018 war Lewis Kongressabgeordneter für den 5. Kongressbezirk in Atlanta.

Lewis war seiner Zeit oft voraus. 1996 hielt er im US-Kongress eine leidenschaftliche Rede gegen den »Defense of Marriage Act« (DOMA). Das homophobe Gesetz definierte die Ehe ausdrücklich als eine zwischen »Mann und Frau«. Jahrzehnte vor der Durchsetzung der Ehe für Alle 2013 – der Oberste Gerichtshof erklärte das DOMA-Gesetz in einem Urteil als verfassungswidrig - erklärte Lewis: »Man kann Menschen nicht erklären, das sie sich nicht verlieben dürfen«.

In den letzten Jahren war er Mitglied des mächtigen Haushaltsausschusses im US-Kongress. Früher als andere Abgeordnete forderte er eine Amtsenthebung von US-Präsident Donald Trump. »Unsere Kinder werden uns fragen, was wir getan haben«, erklärte der Mann, der auf der »richtigen Seite der Geschichte« stehen wollte.

Am 17. Juli spätabends ist John Lewis gestorben, nach sechs Monaten Kampf gegen den Krebs. Er wurde 80 Jahre alt. Zehn Tage zuvor noch hatte er eine Straße in Washington DC besucht, auf die Angestellte der Stadt in großen Lettern »Black Lives Matter« gemalt hatten. »Ich bin sehr beeindruckt«, erklärte Lewis zu den aktuellen Protesten: »Sie sind machtvoll und sie senden dem Rest der Welt die Botschaft, dass wir das Ziel erreichen werden«.

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