Wirecards »regionale Wurzeln«

Wie das Skandal-Unternehmen über Rädchen zum Beispiel mit der CSU verzahnt ist

  • Rudolf Stumberger, München
  • Lesedauer: 4 Min.

In der Soziologie gibt es die Unterabteilung einer Soziologie des Nicht-Wissens. Das ist interessant, weil das Nicht-Wissen generell viel größer ist als das Wissen. Das galt lange auch für Wirecard. Die Geschichte des Aufstiegs und Falls der Finanzfirma ist zudem ein Beispiel dafür, wie sehr sich die Lebensverhältnisse in unserer Gesellschaft unterscheiden. Während sich die Corona-Helden mit niedrigem Gehalt abrackern, vielleicht an die pflegebedürftigen Eltern oder den kommenden TÜV-Termin denken, geht es bei Wirecard um die alte kapitalistische Erzählung: vom ganz großen Geld, von Beziehungen, Luxus, Betrug. Auch wenn sich die mutmaßlichen Betrügereien vor allem in Asien abspielten, hat die Skandalfirma aus Aschheim bei München viel mit der bayerischen Politik zu tun.

»Das Soforthilfe-Programm ist wichtiger Bestandteil unserer Bemühungen, die wirtschaftliche Substanz Bayerns zu erhalten. Die Unterstützung von Wirecard im Zuge dieses Prozesses wissen wir sehr zu schätzen«, so wird der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger auf der Website des Unternehmens zitiert. Wirecard half im Mai bei der Auszahlung der Hilfsgelder für kleine Unternehmen im Freistaat. Dass die mittlerweile insolvente Finanzfirma umsonst für das Ministerium arbeitete, gehört eher zur Abteilung Nicht-Wissen. Auf Nachfrage teilt die Pressestelle mit: »Das Callcenter von Wirecard hat im April einige Tausend PDF-Anträge der Corona-Soforthilfe digitalisiert. Dies war ein kostenloser Service des Callcenters. Wirecard war mit diesem Angebot auf das Wirtschaftsministerium zugekommen.« Das Unternehmen, so dessen Aussage, wolle damit seine Verantwortung gegenüber dem Wirtschaftsstandort Bayern unterstreichen, als global tätiges Unternehmen werde man niemals die »regionalen Wurzeln« vergessen.

Firmengeschichte

Wirecard wurde 1999 inmitten der New-Economy-Blase aus den Resten einer Berliner Internetfirma ausgegründet. Das Start-up erhielt damals vier Millionen DM von einem Münchner Wagniskaptalgeber. Geschäftsidee waren Dienstleistungen bei der elektronischen Zahlungsabwicklung im noch rudimentär vorhandenen Onlinehandel.

Der jetzt inhaftierte Chef Markus Braun kam 2002 zu Wirecard. Im Jahr 2005 ging die Firma an die Börse, ein Jahr später wurde sie in den TecDax für größere Technologieunternehmen aufgenommen, und im September 2018 gelang sogar der Aufstieg in die erste Börsenliga, den Dax.

Die junge Fintech-Firma profitierte davon, dass die Banken aus dem extrem margenschwachen Geschäft der Zahlungsabwicklung ausstiegen. Wirecard arbeitet vor allem für Unternehmen wie Aldi, Rossmann, BASF oder Münchner Flughafen und steht praktisch zwischen diesen und den Banken. Gleichzeitig bietet man virtuelle Kreditkarten an und hat in Deutschland eine Banklizenz. Skurrilerweile entwickelte man auch ein System für Betrugserkennung bei digitalen Zahlungen, das auch mit Künstlicher Intelligenz arbeitet.

Der Aufstieg war eng verbunden mit einer internationalen Ausweitung des Geschäfts. Ab 2007 wurde Wirecard in der Asien-Pazifik-Region aktiv, wo die späteren Betrügereien stattfanden. Man ist auch in Australien und Nordamerika vertreten, übernahm 2016 einen lateinamerikanischen Internet-Zahlungsdienstleister aus Brasilien.

Gerüchte über Betrügereien gab es indes schon lange vor dem jetzigen Fall. Insidern zufolge habe die Firma schon im Jahr 2008 Privatleuten aus den USA geholfen, die dortige Gesetzgebung zu Glücksspiel zu umgehen. Kreditkartenabrechnungen von Wirecard hätten Zahlungen an Blumenlieferdienste oder Handyshops in den Steueroasen Gibraltar und von den British Virgin Islands ausgewiesen, tatsächlich sei es illegal auf Online-Poker-Konten gelandet. Diese Information stammt allerdings aus einem Interview der Zeitschrift »Capital« mit dem Aktieninvestor Tobias Bosler, der seinerzeit hoffte, mit einem Absturz der Wirecard-Aktie viel Geld zu verdienen. 

In einem anderen Fall wurden Gerüchte über Wirecard gestreut und dann ebenfalls auf einen Kursabsturz gewettet. Zwei Vertreter der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger erhielten später Haftstrafen. KSte

Auch wenn das Landeswirtschaftsministerium mit Hubert Aiwanger als Ressortchef von einem Freien Wähler geführt wird - wenn es in Bayern um Geld, Macht und Wirtschaft geht, ist die Christlich-Soziale Union (CSU) der natürliche Ansprechpartner, der auf jahrzehntelange Erfahrung mit Seilschaften verweisen kann. Wie die Dinge quasi naturwüchsig zueinanderfinden, dafür mag in Sachen Wirecard die Person Karl-Theodor zu Guttenberg stehen. Die Investment- und Consultingfirma Spitzberg Partners des früheren CSU-Bundesverteidigungsministers beriet den Zahlungsdienstleister; die Zusammenarbeit mit Wirecard dauerte von 2016 bis 2020. Konkret soll Guttenbergs Firma Wirecard beim Kauf eines chinesischen Zahlungsabwicklers beraten und unterstützt sowie überdies bei der Bundesregierung Lobbyarbeit für Wirecard betrieben haben.

Auch über die Beauftragte der Bundesregierung für Digitalisierung, Dorothee Bär (CSU), soll Wirecard versucht haben, einen direkten Kontakt zu Kanzlerin Angela Merkel (CDU) aufzubauen, die sich aber offenbar nicht mit den Vorständen treffen wollte. Darüber hinaus berichtete der »Spiegel«, dass auch Klaus Dieter Fritsche, ehemaliger Beauftragter für die Nachrichtendienste des Bundes, sich im August 2019 im Kanzleramt in Sachen Wirecard starkgemacht habe. Der CSU-Mann habe »um einen Gesprächstermin für die Wirecard AG« mit dem Leiter der Wirtschafts- und Finanzabteilung, Lars-Hendrik Röller, gebeten. Das Gespräch habe unter Beteiligung eines Wirecard-Vorstands im September stattgefunden.

Und man stößt auf weitere Affinitäten zur CSU in Person des ehemaligen Bundestagsabgeordneten und Rechtsanwalts Peter Gauweiler. Der betrieb damals an der Münchner Nobeladresse Promenadeplatz 9 die Kanzlei Bub Gauweiler & Partner. In der Presse wurde sie schon mal als »eine der gefürchtetsten Wirtschaftskanzleien« bezeichnet. Im März 2019 vertrat sie die Firma Wirecard, die eine Feststellungsklage wegen falscher Darstellung von Geschäftsgeheimnissen gegen die »Financal Times« und den englischen Journalisten Dan McCrum beim Landgericht München eingereicht hatte. Die Wirtschaftszeitung hatte über Unregelmäßigkeiten bei dem Finanzdienstleister berichtet.

Vom Promenadeplatz 9 zur Prinzregentenstraße 61: Zwischen dem Museum Villa Stuck und dem russischen Generalkonsulat steht ein Palais, in dem Jan Marsalek, der ehemalige Vorstand fürs Tagesgeschäft bei Wirecard, gewohnt haben soll. Der per internationalem Haftbefehl gesuchte Manager, der laut Medienberichten nach Russland geflohen sein soll, ist ebenso wie der Vorstandsvorsitzende Markus Braun ein Gewächs der Internetökonomie. In jungen Jahren machten die beiden Österreicher eine steile Karriere in der IT-Branche und verdienten zuletzt Millionen; das Vermögen von Braun in Form von Aktien der Firma wurde vor dem Börsenabsturz im Zuge der Insolvenz auf über eine Milliarde Euro geschätzt. Bei Marsalek kamen noch der Hang zum Luxus und sein Interesse an Geheimdiensten hinzu. So soll der Manager über einen Mittelsmann Geheiminformationen aus dem österreichischen Bundesamt für Verfassungsschutz und dem Innenministerium an die rechtspopulistische FPÖ weitergegeben haben. Eine Adresse, die auch Klaus Dieter Fritsche bekannt war. Der CSU-Mann aus Bamberg hatte nach dem Ausscheiden als Staatssekretär und Geheimdienstkoordinator im Jahre 2018 den damaligen österreichischen FPÖ-Innenminister Herbert Kickl beraten.

Das Beispiel Wirecard lässt erahnen, dass das Nicht-Wissen der Allgemeinheit über das Geschäftsgebaren von Unternehmen wie Wirecard zum wesentlichen Bestandteil ebendieses Geschäftsgebarens zählt. Und wie sich dieses Rädchen für Rädchen mit der Politik und der Macht verzahnt. Nicht zuletzt liefert Wirecard ein Beispiel dafür, wer sich eigentlich die irrsinnigen Münchner Mieten leisten kann. Sie sind Teil eines großen Spieles, das zwar vor unseren Augen, aber trotzdem oft im Verborgenen gespielt wird.

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