Das scheinbar Unmögliche tun

Der Kohleausstieg zeigt mal wieder, was in der deutschen Klimapolitik grundsätzlich falsch läuft, meint Elena Balthesen

  • Elena Balthesen
  • Lesedauer: 4 Min.

Belgien ist 2016 aus der Kohle ausgestiegen, Österreich dieses Frühjahr, Spanien und Italien folgen 2025. Und Deutschland? Lässt sich bis 2038 Zeit, Klimakrise hin oder her. Natürlich sind die Energiesysteme nicht direkt vergleichbar. Aber auch in Deutschland wird die Kohle wahrscheinlich schon bald nicht mehr wirtschaftlich sein. Das kürzlich beschlossene Kohleausstiegsgesetz ist also im schlimmsten Fall ein Kohleverlängerungsgesetz. Das ist absolut absurd und nicht zeitgemäß.

Ich war nicht besonders überrascht, aber der Beschluss hat mich doch wieder aus der Fassung gebracht und frustriert. Seit Jahren protestiert, blockiert und argumentiert die Klimabewegung wissenschaftlich gestützt gegen die weitere Nutzung des Klimakillers Kohle. Auch die Mehrheit der Bevölkerung ist für Klimaschutz und einen schnellen Kohleausstieg. Das alles ist offenbar vergeblich gegen die Macht der Kohlelobby, die so eng mit Teilen der Politik verflochten zu sein scheint. Es gibt wieder einen Sieg für die Kohle, getarnt als Erfolg für den Klimaschutz.

Wieso kann die Bundesregierung einfach Wissenschaft, öffentliche Meinung und diesmal sogar die Volkswirtschaft ignorieren? Manchmal verzweifle ich daran. Der Klimaaktivist Tadzio Müller hat im »nd« einen Strategiewechsel der Klimabewegung gefordert: Weil die öffentliche Meinung bis jetzt keine Auswirkungen auf die Klimapolitik hatte, sollen wir zu einer massiven Störung des Alltags in Deutschland übergehen. Müller findet vor allem uns von Fridays for Futur geeignet dafür, zu solchem zivilen Ungehorsam aufzurufen. Wir haben den nötigen öffentlichen Zuspruch.

Ich habe in dieser Kolumne schon häufiger berichtet, dass wir viel über solche Überlegungen diskutieren. Es gibt sehr unterschiedliche Meinungen dazu. Ganz aktuell stellt sich diese Frage für mich gar nicht so sehr. Ob Großdemos oder massenhafter ziviler Ungehorsam - beides ist durch Corona zurzeit unmöglich.

Was sehr wohl möglich ist, ist ein anderer wichtiger Teil unseres Aktivismus, nämlich interne Gespräche mit Politiker*innen. Auf lokaler Ebene haben wir so schon Erfolge erzielt. Dass München Ende des letzten Jahres einen Klimanotstand ausgerufen hat mit dem Ziel, die Stadt bis 2035 klimaneutral zu machen, hatte auch damit zu tun.

Wenn man sich an einem Tisch gegenüber sitzt - informell, mal ohne Presse -, muss niemand auf Floskeln zurückgreifen oder einfach die Parteilinie abspulen. Und wir können versuchen zu verstehen, warum diese Menschen eine klimaschädliche Politik vertreten.

In meinen Gesprächen mit konservativen Regierungspolitiker*innen traf ich auf zwei typische Argumentationsmuster: Entweder wird behauptet, unsere Vorschläge seien nicht machbar. Oder man sagt implizit, dass Klimaschutz nicht so wichtig ist. Anstatt die Rettung des Weltklimas als alles bestimmende Thema zu sehen, betrachten sie es als eines von vielen Interessen, zwischen denen ein Kompromiss gefunden werden muss.

Das muss sich ändern. Oder anders gesagt: Mit dem Pariser Weltklimaabkommen haben wir versprochen, das zu ändern. Der Klimavertrag legt fest, dass wir die Erderwärmung möglichst bei 1,5 Grad begrenzen wollen, auf jeden Fall aber deutlich unter zwei Grad. Deutschland hat das unterschrieben und ratifiziert, die Europäische Union ebenso.

Bisher hat die EU zugesagt, ihre Emissionen bis zum Ende des Jahrzehnts um 40 Prozent gegenüber 1990 zu verringern. Das ist natürlich nicht ausreichend. Wenn alle Staaten so handeln würden, liefe das auf eine gefährliche Erderhitzung um zwei bis drei Grad hinaus, hat der Carbon Action Tracker errechnet. Im Gespräch sind jetzt 55 bis 65 Prozent Minderung. Nötig wären aber 80 Prozent, wie es Fridays for Future fordert.

Gespräche mit Politiker*innen fühlen sich vor diesem Hintergrund immer wieder absurd an. Was ist das für eine Rollenverteilung, bei der Jugendliche Politiker*innen an ihre eigenen Versprechen erinnern müssen?

Letzten Freitag wurde ein offener Brief von Fridays for Future und prominenten Unterstützer*innen an die Staats- und Regierungschefs der EU geschickt. Ich habe ihn wieder und wieder gelesen, denn er hat meine Gefühle gespiegelt und die Situation auf den Punkt gebracht: Es reicht nicht, es ein bisschen besser zu machen. Wir müssen das scheinbar Unmögliche tun.

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