Corona-Pandemie verzögert Meldungen häuslicher Gewalt

Brandenburg und Nordrhein-Westfalen melden Anstieg registrierter Fälle seit Beginn der Lockerungen von Infektionsschutzmaßnahmen

Wie das Brandenburger Gesundheitsministeriums bekanntgab, seien mit Beginn der Infektionsschutzmaßnahmen im März und April wider Erwarten zunächst keine erhöhten Zahlen häuslicher Gewalt gemeldet worden. Nach der Lockerung der Beschränkungen hätten Frauenhäuser und Betreuungseinrichtungen sodann von einem »sehr, sehr starken Anstieg« an Beratungen und Inobhutnahme von Betroffenen berichtet, sagte Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) am Mittwoch im Gesundheitsausschuss des Landtages.

Mit der Schließung von Kitas, Schulen und Jugendfreizeiteinrichtungen wegen Corona waren laut Ministerium nicht nur Ansprechpartner, sondern auch Meldeketten zum Kinderschutz ersatzlos weggebrochen. Während dieser Zeit habe sich deshalb niemand melden können, erklärte Nonnemacher. »Die, die eingeschlossen waren in diesem häuslichen Kreis, konnten sich kaum artikulieren.« Jetzt merke man mit Verzögerung, dass einiges aufzuarbeiten sei, so Nonnemacher. Das betreffe sowohl Gewalt gegen Kinder, Vernachlässigung, aber auch Gewalt gegen Frauen. Konkrete Zahlen nannte Nonnemacher zunächst nicht. Auch das Bildungsministerium berichtete von einem Anstieg der Fälle. Meldungen über häusliche Gewalt gegen Frauen und Kinder kämen jetzt verzögert. Eine Sondererhebung dazu gebe es noch nicht, man arbeite aber daran. Demnach sollen Jugendämter ihre Fallzahlen künftig in einem kürzeren Rhythmus melden, um während der Pandemie einen Überblick zu bekommen.

Auch die nordrhein-westfälische Gleichstellungsministerin Ina Scharrenbach (CDU) bestätigt: »Mit der zunehmenden Rücknahme von Einschränkungen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie hat die Anzahl derer, die beispielsweise die Frauennotrufe und/oder die Frauenberatungsstellen in Anspruch nehmen beziehungsweise Hilfe in einem Frauenhaus suchen, wieder zugenommen.« In ihrer Antwort auf eine Anfrage der SPD-Fraktion heißt es weiter, die Zahl der Fälle häuslicher Gewalt sei zunächst im Juni um fast ein Drittel gegenüber dem Vorjahresmonat gesunken. Die SPD-Fraktion sieht sich in ihrer Einschätzung der Lage bestätigt. Der strikte Verweis auf die polizeilichen Erhebungen der Fälle von häuslicher Gewalt sei irreführend. »Wir haben immer wieder auf die Aussagen von Expertinnen und der Frauenhäuser verwiesen, wonach es in solchen Krisensituationen erfahrungsgemäß zu einem Anstieg der Fälle kommt«, sagte die frauenpolitische Sprecherin der SPD, Anja Butschkau. »Die Frauenhäuser brauchen dringend Unterstützung bei den Personalkosten.« Die 1,5 Millionen Euro aus dem Rettungsschirm hülfen da nicht weiter, weil diese ausschließlich für Sachkosten aufgewendet werden können. Zudem müsse die Ministerin dringend tätig werden und den betroffenen Frauen kostenlose Tests vor Ort ermöglichen.

Die Grünen-Fraktion in Berlin fordert ebenfalls bessere Maßnahmen gegen häusliche Gewalt. In der Hauptstadt gebe es jährlich mehr als 14 000 erfasste Fälle, die Dunkelziffer sei viel höher. In zwei Anträgen an das Abgeordnetenhaus fordert sie ein Childhood-Haus nach skandinavischem Vorbild. Dort werden Kinder und Jugendliche, die Opfer häuslicher Gewalt werden, medizinisch und psychologisch betreut. Außerdem setzen sich die Grünen dafür ein, die Zahl der speziell gegen häusliche Gewalt geschulten Einsatzkräfte der Berliner Polizei zu erhöhen. Gleichzeitig sollten Schutzpolizistinnen und -polizisten entsprechend sensibilisiert werden. Mit Agenturen Kommentar Seite 8

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