Fridays for Nahverkehr

Wie eine Tarifrunde zum Klimaschutz beitragen kann.

Vor einem Jahr war es, da forderten Schülerinnen und Schüler der Klimabewegung Fridays for Future zum ersten Mal »alle Erwachsenen« auf, sich ihrem Streik anzuschließen. Auch Gewerkschaften wurden eingeladen. Dort hatte man sich natürlich schon zuvor Gedanken gemacht über die richtige Klimapolitik und den Umgang mit der neuen Klimabewegung, aber so direkt wie vor dem globalen Aktionstag am 20. September 2019 waren sie bis dahin noch nicht herausgefordert worden. Auch wenn die Beteiligung »der Erwachsenen« am Ende überschaubar blieb, der Aufruf hat Debatten angestoßen - über die Klimakrise und das Verhältnis von alter und junger Bewegung. Und er hat Drähte gelegt, die dazu führen, dass umweltbewegte Schülerinnen und Studierende in der nun startenden Tarifrunde für den öffentlichen Nahverkehr dabei helfen wollen, den Anliegen von Bus- und Bahnfahrern mehr Gehör zu verschaffen. Eine Allianz für den sozial-ökologischen Wandel, der sonst mehr proklamiert als glaubhaft gemacht wird.

Verdi kooperiert mit FFF

»Man kann eine Tarifrunde im Nahverkehr nicht mehr losgelöst vom Umweltschutz sehen«, erklärte die stellvertretende Verdi-Vorsitzende Christine Behle Ende Juli, als sich die neuen Kooperationspartner vorstellten. Für Klimaschutz und eine echte Verkehrswende werde ein starker ÖPNV benötigt, dazu gehörten auch gute Arbeitsbedingungen. Nach Angaben von Fridays for Future (FFF) sind inzwischen 38 Ortsgruppen in die Tarifkampagne eingestiegen. Wenige Tage vor den ersten Sondierungsgesprächen zwischen kommunalen Arbeitgebern und Verdi fanden am Freitag in zahlreichen Städten gemeinsame Aktionen statt. In Hamburg wurde das Rathaus »umzingelt«, in Stuttgart auf dem Fahrrad demonstriert, in Kassel gab es Infostände, in Leipzig wurden die Forderungen in Straßenbahnen verbreitet.

So naheliegend es inhaltlich ist, dass sich Gewerkschaft und Klimabewegung beim öffentlichen Nahverkehr treffen, so herausfordernd ist es im Einzelnen - angesichts verschiedener Arbeitsweisen, politischer Kulturen und sozialer Hintergründe. Stehen die Gewerkschaften unter Verdacht, für den Erhalt von Arbeitsplätzen die Klimafrage im Zweifel hinten anzustellen, so hängt Fridays for Future das Image an, nur mehr Spielwiese sozial bessergestellter Mittelschichtskinder zu sein, die ohne Rücksicht auf Verluste, sprich Arbeitsplätze, radikale Forderungen aufstellen. Zudem sind sich Verdi und FFF in einigen anderen Fragen, etwa beim Kohlekraftwerk Datteln oder der Zukunft des Flugverkehrs, weit weniger grün. Doch statt auf solche Differenzen zu schauen, habe man gezielt nach Schnittmengen gesucht, sagt Katharina Stierl von FFF, die den Kontakt zu den Gewerkschaften koordiniert. Und im Punkt Verkehrswende gefunden, selbst wenn es hier im Detail unterschiedliche Positionen gibt.

Die Zusammenarbeit hat sensibilisiert für Unterschiede wie etwa beim 365 Euro Ticket, das Linke und Klimaaktivisten toll finden, von dem Beschäftigte in den Verkehrsbetrieben jedoch wenig begeistert sind. »Die sagen, vorher brauche es ein neues Finanzierungsmodell für den gesamten ÖPNV«, sagt Stierl. Denn der wird zu einem großen Teil von Ticketeinnahmen getragen. Auch das Gefühl, was billig ist, wird nicht Wert geschätzt, spielt eine Rolle.

Verdi hat die Tarifkampagne auf die Formel zugespitzt: Keine Verkehrswende ohne Investitionen ins Personal. Denn bislang kreiste die Klimadebatte vor allem um Infrastruktur und Fahrzeugflotten, um Ausbau und Taktung. Gut und richtig, sagt die Gewerkschaft: Doch wer soll all die klimafreundlichen Busse und Bahnen fahren? Schon jetzt fehlt Personal an allen Ecken. Bis 2030 wird sich die Lage verschärfen. Bis dahin geht jeder zweite Beschäftigte in Rente. Wird der Job nicht attraktiver, so warnt Verdi, wird es in Zukunft niemanden geben, der ihn noch machen will. Die Tarifrunde entscheidet somit nicht allein über die Zukunft von 87 000 Beschäftigten in 130 kommunalen ÖPNV-Unternehmen, sondern sie stellt die Weichen für die Verkehrswende. Fridays for Future hat das überzeugt.

Von der Zusammenarbeit können beide Seiten profitieren - die Beschäftigten von Engagement, Vernetztheit und Prominenz der Bewegung und diese wiederum kann neue Mitstreiter für ihre anderen Anliegen gewinnen. »Wir wollen nicht von außen kritisieren«, sagt Stierl. Es sei einfacher, in die Gewerkschaft hineinzuwirken, wenn man sich kennt.

Die Tarifrunde Nahverkehr hat fast zwei Jahre Vorlauf und eigentlich wollte man im August schon viel mehr Aufmerksamkeit erzeugt haben. Doch dann warf der Coronavirus sämtliche Pläne über den Haufen. In diesen Tagen nimmt die Kampagne langsam Fahrt auf. Denn klar ist: Auch nach Corona droht immer noch der Klimakollaps.

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