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Ein Konzert im Dienst der Wissenschaft

Wissenschaftler der Uni Halle wollen Corona-Risiken bei Großveranstaltungen erforschen

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.

Im Mai hätte Rammstein in der Leipziger Arena zwei Konzerte spielen sollen. Sie fielen aus. Auch lange geplante Auftritte von André Rieu, Pet Shop Boys oder Roland Kaiser an gleicher Stelle wurden abgesagt. Grund: Großveranstaltungen mit mehr als 1000 Besuchern sind in Zeiten von Corona verboten. »Zu Recht«, sagt Stefan Moritz, Leiter der Abteilung Klinische Infektiologie an der Universitätsmedizin Halle. Schließlich sei bekannt, dass von solchen Veranstaltungen ein »erhebliches Risiko« für Infektionen mit Sars-CoV-2 ausgeht.

Allerdings weiß die Wissenschaft bisher wenig darüber, worin genau die Risiken bestehen und ob die Viren beispielsweise vor allem im Gedränge vor der Bühne, beim Bierholen oder sogar schon in der Straßenbahn bei der Anreise übertragen werden. Zentrale Fragen seien »bisher nie untersucht worden«, sagt Moritz. Um das zu ändern, soll an diesem Samstag in der Arena doch ein Konzert stattfinden: mit Sänger Tim Bendzko und 2200 Zuschauern. Ursprünglich hatte man gar auf 4000 Gäste gehofft; die Publikumsresonanz blieb aber unter den Erwartungen.

Ein Grund mag sein, dass der Musikgenuss nicht im Mittelpunkt steht. Vielmehr handelt es sich um ein Spektakel im Dienst der Wissenschaft. Es geht darum, eine Großveranstaltung zu simulieren und dabei mögliche Infektionsherde zu identifizieren. Die Erkenntnisse könnten dazu beitragen, mit angepassten Hygienekonzepten in Zukunft doch wieder Massenereignisse wie Konzerte, aber auch große Sportveranstaltungen in der Halle zu ermöglichen.

Die Teilnehmer der Studie werden deshalb am Samstag gewissermaßen drei Konzerte erleben: eines unter bisher praktizierten Bedingungen und zwei mit jeweils geänderten Hygieneregeln und anderen Abständen. Die Zuschauer tragen dabei sogenannte Tracker, die nachvollziehen lassen, wie nahe sie anderen Personen in verschiedenen Phasen des Konzerts in den unterschiedlichen Bereichen der Halle kommen. Zudem müssen sie sich regelmäßig die Hände desinfizieren - mit einem Mittel, das fluoreszierende Partikel enthält. So will man Flächen identifizieren, die häufig berührt werden und Quelle für Schmierinfektionen sein können. Von Tim Bendzkos Musik sollen sich die Probanden trotz aller strengen Vorgaben doch anstecken lassen; schließlich wolle man das »Zuschauerverhalten möglichst realitätsnah abbilden«, heißt es.

Eine Großveranstaltung in Zeiten, da Großveranstaltungen eigentlich aus guten Gründen verboten sind, sei eine heikle Angelegenheit, räumt Studienleiter Moritz ein. Die Frage nach dem Risiko sei »die zentrale Frage in diesen Zeiten«. Er ist aber zuversichtlich, dass man ein »sehr, sehr hohes Maß an Sicherheit« biete. Zugelassen sind nur Probanden, die nicht zu Risikogruppen gehören: unter 50 Jahre alt, ohne Vorerkrankungen, keine kürzliche Reise in Risikogebiete. Binnen 48 Stunden vor dem Konzert müssen sie einen Coronatest durchführen lassen und während des gesamten Konzerts Atemmasken tragen. Womöglich haben diese Vorgaben dazu geführt, dass die Resonanz auf den Aufruf zur Teilnahme unter den Erwartungen blieb. Jedoch seien auch 2200 Teilnehmer eine Größenordnung, »mit der wir gute Ergebnisse erwarten können«, sagte Moritz.

Den Anstoß für die Studie gab nach seinen Worten ein Gespräch mit Managern der Arena und des Leipziger Sportvereins SC DHfK, bei dem der Hallenser Mediziner zu seiner fachlichen Sicht auf die Risiken von Großveranstaltungen befragt wurde - und an dessen Ende seine Gesprächspartner »am Boden zerstört« gewesen seien, sagt Moritz. Die Absage solcher Veranstaltungen bedrohe die Existenz von Künstlern und Sportlern, aber auch ganzer Sportarten und Kulturformen, heißt es zur Begründung der Studie. Alternative Hygienekonzepte, so die Hoffnung, könnten für einen Neustart sorgen. Wie dieser gelingen könnte, dazu gebe es »drängende Fragen« von Bürgern und denen, die von Konzerten oder Sportereignissen leben, sagte Petra Köpping (SPD), die Gesundheitsministerin des Freistaats Sachsen. Zugleich könnte die Studie der Politik besser begründete Regelungen dazu ermöglichen, was in Coronazeiten möglich ist und was nicht. »Wir müssen unsere Entscheidungen legitimieren«, sagt Armin Willingmann (SPD), Wissenschaftsminister in Sachsen-Anhalt. Beide Länder finanzieren gemeinsam die Studie, die rund 900 000 Euro kosten soll.

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