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Rache, Macht, Befriedigung

Wie aktuell ist das denn? Die deutsche Netflix-Serie »Biohackers« spielt mit Ängsten vor Genetik, Viren und einer Pandemie

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 3 Min.

Was tut man nicht alles für ein wenig mehr Aufmerksamkeit? Erst hat Netflix den Sechsteiler »Biohackers« vom Frühjahr Richtung Herbst verschoben, weil es darin auch um manipulierte Viren mit Pandemiepotenzial geht. Angeblich hat der Streamingdienst nun auch tatsächlich Daten der ersten Episode der Serie auf DNA gespeichert - möglich gemacht durch Forschende an der ETH (Eidgenössische Technische Hochschule) in Zürich.

Auch vor dem heutigen Sendetermin lässt sich trefflich rätseln, warum die deutsche Produktion in der ersten Corona-Welle Ende April unzumutbar sein sollte, nicht jedoch in der aktuellen. Aber so funktioniert Medienmarketing im Mystery-Fach.

Denn mysteriös geht es von Beginn an zu, wenn Regisseur Christian Ditter das zeitgenössische Wissenschaftsdrama im Zukunftsfeld der synthetischen Medizin erzählt. Vordergründig beginnt die junge Mia (Luna Wedler) ihr Medizinstudium bei der Forschungslegende Tanja Lorenz, die ihre Erstsemester direkt von »Geschöpfen zu Schöpfern« erklärt und Gott für obsolet. Doch hinter dem Ehrgeiz der zwei Hauptfiguren steckt offenbar weitaus mehr als nur wissenschaftliches Interesse.

Professorin Tanja Lorenz, nebenbei namensgebende Chefin eines schöpferischen Pharmakonzerns, hat nämlich - das lernen wir durch Rückblenden in Mias Kindheit - den Zwilling und die Eltern ihrer talentierten Schülerin auf dem Gewissen, weshalb die Vollwaise nun Vergeltung übt.

So weit so dramatisch. Denn natürlich ist die »Geschichte von Freundschaft, Liebe, Rache« laut Netflix-PR vor dem »Hintergrund revolutionärer Biohacking-Technologie und ihrer ethischen Implikationen« heillos überfrachtet. Mit der virilen Charlotte (Caro Cult), dem nerdigen Ole (Sebastian Doppelbauer) und einer asiatischen Ulknudel (Jing Xiang), stecken schließlich alle bürgerlichen Klischees vom Studi-Leben 2.0 in Mias WG. Seminare sind stets Proklamationen akademischer Brillanz und Labore im Bauhaus-Stil erinnern an die von Bond-Bösewichten. Schon Erstsemester schnippeln virtuos am Erbgut herum, und wenn sie sich ebenso meisterhafte Schlagfertigkeitsduelle liefern, raschelt Christian Ditters Drehbuch noch lauter als bei der Jagd auf fluoreszierende Labormäuse durch die Uni-Bibliothek.

All der Firlefanz täuscht aber nicht darüber hinweg, dass Netflix Bemerkenswertes geschaffen hat. Abgesehen von Jessica Schwarz als geschäftstüchtige Hochschul-Domina und Benno Fürmann als Wissenschaftsjournalist Winter, baut die Serie auf unverbrauchte Nachwuchsschauspieler, unter denen besonders zwei herausstechen: zum einen ist da das Berliner Bühnentalent Adrian Julius Tillmann in seiner ersten Filmrolle als Kommilitone und Freund von Mia. Ihr verleiht die Schweizerin Luna Wendler eine sensationell authentische Mischung aus Abgebrühtheit und Fragilität - und verweist damit aufs eigentliche Alleinstellungsmerkmal.

Über 240 Minuten hinweg bestehen die »Biohackers« nämlich jeden Bechdel-Test, der nicht erst seit MeToo das emanzipative Potenzial fiktionaler Erzählungen misst. Vier weibliche Hauptcharaktere haben zwar zuweilen Jungs im Kopf und reden über sie, verfolgen dabei jedoch zielstrebig beziehungsferne Absichten: Wissen und Macht, Ruhm und Karriere, Vendetta und Befriedigung. Das sind alles traditionell männlich konnotierte Planziele, denen die Frauen der Serien nicht nur dekorativ beiwohnen, sondern denen sie mit ruppiger Hingabe nachgehen. Ein so geringes Maß an stereotyper Bevormundung ist in diesem Unterhaltungsgenre selten. Der Sechsteiler fordert das Publikum auch sprachlich. Wenn die Protagonisten zum Beispiel ohne Erklärung fröhlich am Genom »crispern«, »sampeln« oder »sequencen«, mag das für Außenstehende Elfenbeinturmkauderwelsch sein; aber so redet man halt unter Biohackern.

Warum Netflix uns die Serie Ende April eigentlich vorenthalten hat? Vielleicht wegen der Speicheltests und Biogefahren, vielleicht auch wegen der distanzlosen Wald-Party à la Berliner Hasenheide - gewiss aber wegen einer Frage, die Mia stellt, als Jasper ihr manipulierte Mücken voller Viren zeigt: »Keine Angst ‘ne Pandemie zu starten?« Mittlerweile schon.

»Biohackers«, Netflix, seit 20. August

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