Mit Glück und großem Willen

Wolfsburgs Fußballerinnen stehen im Endspiel der Champions League

  • Frank Hellmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Natürlich haben Alexandra Popp, Anna Blässe oder Lena Goeßling die Erinnerungen an den 23. Mai 2013 noch abgespeichert. Der VfL Wolfsburg spielte seine erste Saison in der Women’s Champions League und hatte es tatsächlich geschafft, das Finale zu erreichen, das damals im Vorlauf der Männer ausgetragen wurde. Zwei Tage, bevor sich der FC Bayern und Borussia Dortmund im Wembley-Stadion im deutschen Duell um den Henkelpott streiten sollte, schickte die Uefa die besten Frauenteams an die Stamford Bridge. Das war kein schlechter Ort, obwohl der heutige Wolfsburger Sportdirektor und damalige Trainer Ralf Kellermann sich zunächst über seine Spielerinnen wunderte, weil die bei der Ankunft von der mit den Chelsea-Legenden beklebten Stadionfassade so viele Erinnerungsfotos schossen.

Dieselben Fußballerinnen rafften sich hernach gegen Olympique Lyon zu einer der größten Energieleistungen der Vereinsgeschichte auf. Popp opferte sich als Linksverteidigerin auf, die einzige Stürmerin Conny Pohlers ackerte unermüdlich um den Ball. Vor knapp 20 000 Zuschauer verloren filigrane Fußballerinnen wie Louisa Necib oder Lotta Schelin die Nerven. Megan Rapinoe verließ schon zur Pause das Feld, weil sie nirgendwo Raum hatte. Beim einzigen Gegenangriff nach der Pause bekam Wolfsburg einen Handelfmeter: Martina Müller verwandelte zum goldenen Tor. Der haushohe Favorit war gestürzt. Und die Entourage aus dem östlichen Niedersachsen feierte in einer Londoner Szenelocation nach dieser »Sensation« (Kellermann) eine wunderbare Party.

All diese Erinnerungen vom ersten Champions-League-Triumph, der zweite folgte 2014 in Lissabon, wurden jetzt wieder lebendig - nachdem der VfL am Dienstagabend mit einem schwer erkämpften 1:0 gegen den FC Barcelona das Halbfinale überstanden und zum fünften Mal das Finale der weiblichen Königsklasse erreicht hat.

»Natürlich hatten wir in der einen oder anderen Situation Glück, denn Barcelona hat ein sensationelles Spiel gemacht«, sagte Wolfsburgs Trainer Stephan Lerch. Aber man müsse diesen Erfolg auch genießen. Genau wie der FC Bayern bei den Männern kann auch der VfL bei den Frauen nach 2013 wieder das Triple gewinnen.

Daran erinnerte auch Lerch, der 2021 wohl in den Männerfußball wechseln wird. »Man zieht nicht jeden Tag in ein Champions-League-Finale ein. Dass wir die eine oder andere Sache auch kritisch ansprechen müssen, ist uns allen klar«, erläuterte der 36-Jährige. Das Ensemble des unaufgeregten Kellermann-Nachfolgers stand in San Sebastian zwar nicht ganz so tief wie damals in London, aber richtig schön anzusehen war die Spielweise nicht. Es bedurfte eines verunglückten Fallrückziehers von Ewa Pajor, nach dem Fridolina Rolfö in der 58. Minute das Siegtor schoss, um glücklich zu gewinnen. Ein Handspiel von Neuzugang Kathrin Hendrich übersah die ungarische Schiedsrichterin Katalin Kulcsár in der 13. Minute. Was Barcelonas Trainer Lluis Cortes erzürnte: »Den Videoassistenten sollte man benutzen, er ist doch jedes Wochenende im Einsatz.« Bei den Frauen aber erst zum Finale am Sonntag. Gespielt wird dann erneut vor leeren Rängen im nordspanischen San Sebastian.

Interessant wird sein, ob sich der deutsche Doublesieger im Endspiel wieder vorwiegend auf seine kämpferischen Qualitäten verlassen wird. Mit Lena Oberdorf wechselte jüngst die erst 18-jährige Abwehrchefin des deutschen Nationalteams von Essen nach Wolfsburg, aber Lerch vertraut dem Ausnahmetalent noch nicht ganz: Gegen Barcelona begann jedenfalls Hendrich in der Abwehrzentrale, Oberdorf wurde für Popp fünf Minuten vor Ende eingewechselt, um den knappen Vorsprung zu verteidigen.

Um nicht, wie in den gegen Lyon verlorenen Endspielen 2016 und 2018, zu sehr unter Druck zu geraten, wird es wichtig sein, im Mittelfeld mehr Ballkontrolle zu erlangen. Da ist auch Nationalteamkapitänin Popp gefordert, um Torjägerin Pernille Harder besser in Szene zu setzen. Aber genau wie 2013 stützen sich die Wolfsburgerinnen vor allem auf ihren Willen. »Es sagt viel über den Verein, dass jeder gewinnen will und so eine starke Siegermentalität hat. Ich hoffe, wir schaffen das am Sonntag!« erklärte die schwedische Siegtorschützin Rolfö am Dienstagabend.

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