Nicht treiben lassen

Der Ältestenrat des Bundestags analysiert den Treppenvorfall

Der Ältestenrat des Bundestags erwartet nach dem Durchbruch der Absperrungen am Reichstagsgebäude durch Demonstrant*innen, die gegen die Corona-Maßnahmen protestierten, nun einen ausführlichen Bericht der Berliner Sicherheitsbehörden. Auch das Bundesamt für Verfassungsschutz soll darlegen, welche Erkenntnisse und Hinweise auf mögliche Bedrohungen es vor dem Vorfall vom vergangenen Samstag hatte, heißt es aus Teilnehmer*innenkreisen der Sitzung am Donnerstag. Schnellschüsse wie ein absolutes Demonstrationsverbot rund um das Reichstagsgebäude wurden demnach abgelehnt.

Am Samstagabend hatten etwa 300 bis 400 Demonstrant*innen Absperrgitter am Reichstagsgebäude überrannt und sich lautstark vor dem verglasten Besucher*inneneingang aufgebaut. Dabei wurden vor dem Sitz des Bundestags auch schwarz-weiß-rote Reichsflaggen geschwenkt. Die Polizei drängte die Menschen schließlich auch mit Hilfe von Pfefferspray zurück.

Schon Monate vor dem Vorfall hat es laut einem »Spiegel«-Bericht in Chats Diskussionen über solche Aktionen gegeben. Das habe eine Auswertung Hunderter Beiträge in internen Chatgruppen ergeben, berichtete der »Spiegel« am Donnerstag.

Bereits am 15. Juni forderte das Mitglied einer Chatgruppe um den für seine Verschwörungstheorien bekannten Vegan-Koch Attila Hildmann dazu auf, die Proteste gegen die deutsche Corona-Politik in Berlin zu bündeln und in den Bundestag einzudringen. Man müsse »den Reichstag besetzen, solang bis sie aufgeben«, hieß es dort.

In weiteren Online-Gruppen wurde das Gebäude vier Tage vor der Großkundgebung am 29. August als »wichtigste Adresse« bezeichnet. Teilnehmer*innen seien zudem ausdrücklich aufgefordert worden, Fahnen des Deutschen Reiches, der USA und Russlands mitzubringen.

Mit dem Vorfall würden sich nun auch der Bundestag-Innenausschuss und das für die Geheimdienste zuständige Parlamentarische Kontrollgremium befassen, hieß es weiter. Mit Ausnahme der AfD sei man sich einig gewesen, dass Bilder mit Flaggen aus der vordemokratischen Zeit vor dem demokratisch gewählten Parlament nicht hinnehmbar seien. Der Vorfall erregte über die Parteigrenzen hinweg Empörung. »Wir dulden keine antidemokratische Hetze und keine Herabwürdigung der Bundesrepublik Deutschland am Bundestag«, sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.

Auch im Berliner Abgeordnetenhaus war der Vorfall ein Thema. »Wir dürfen uns nicht wegducken vor den Lautschreiern und die Meinungsfreiheit nur für sie gelten lassen«, sagte der Berliner Innensenator Andrea Geisel (SPD). »Meinungsfreiheit gilt für alle. Und wir müssen klar sagen, was richtig und was falsch ist.« Demokrat*innen müssten für ihre Werte einstehen und sich laut für die Demokratie stark machen. »Es gibt eine unsichtbare Bedrohung durch das Coronavirus, und es gibt zugleich eine Bedrohung durch ein Virus, das sich Populismus nennt«, so Geisel. »Und der Impfstoff der Demokraten dagegen ist Haltung.«

Bereits am Wochenende bezeichnete die stellvertretende Parteivorsitzende der Linke, Martina Renner, die Diskussion um das Sicherheitskonzept als verfehlt, und wies darauf hin, dass auch mindestens 25 Abgeordnete der AfD an den Demonstrationen teilgenommen hatten. »Die Lösung ist kein Zaun und kein Graben um den Reichstag, sondern eine klare Trennlinie zu Faschist*innen«, twitterte Renner.

Auch CSU-Chef Markus Söder sprach sich gegen eine Bannmeile für das Regierungsviertel in Berlin aus. »Der Reichstag sollte besser geschützt werden. Aber es braucht wohl keine Bannmeile«, sagte Söder der »Passauer Neuen Presse«. Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, dass man Menschen vom Parlament fernhalten wolle.

Neben dem Vorfall direkt vor dem Reichstagsgebäude müssten auch jüngst sichtbar gewordene Sicherheitslücken im Haus nachbereitet werden, um Wiederholungen zu vermeiden, verlangte der Ältestenrat des Bundestags. Der Ältestenrat besteht aus dem Bundestagspräsidenten, seinen Stellvertretern und 23 weiteren, sehr erfahrenen Abgeordneten wie den Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer*innen der Fraktionen. Seine Aufgabe ist es, den Bundestagspräsidenten bei seiner Arbeit zu unterstützen und für einen reibungslosen Arbeitsablauf im Bundestag zu sorgen. Mit Agenturen

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal