Hochbegabt? Ali (4) ist bilingual!

Statt sich darüber zu sorgen, dass immer mehr Kinder Zuhause kein Deutsch sprechen, sollte die Politik ihre Zweisprachigkeit feiern, meint Mascha Malburg

  • Mascha Malburg
  • Lesedauer: 4 Min.

»Jedes fünfte Kita-Kind spricht zu Hause kaum Deutsch«, meldete am Wochenende die »Welt«. Die FDP-Bundestagsfraktion zeigte sich in der »Tagesschau« besorgt über diese wachsende Zahl. Und dem »Tagesspiegel« war klar, dass die Folgen »Probleme in der Schule und schlechte Aussichten auf dem Arbeitsmarkt«, seien. Was sich da am Horizont der guten deutschen Leitmedien zusammenbraut, ist Integrationsdebatte Nummer 355478. Wohin ein solch erwartbares Gewitter an Talkshows, vorschnellen Statistiken und skandalösen Schlagzeilen führt, möchte ich einmal anhand einer Anekdote veranschaulichen.

Vor einigen Jahren arbeitete ich in einer Bildungseinrichtung, in dem so häufig als »Problemkiez« gebrandmarkten Berliner Bezirk Wedding. Zu einem Diskussionsabend zum Thema »Sprachförderung« kam auch eine türkischsprachige Mutter mit ihren Kindern. Nachdem die geladenen Lokalpolitiker*innen eine Stunde lang über Sprachkonzepte, Förderunterricht und Integrationsklassen fachsimpelten, hob sie zaghaft die Hand: Sie wisse einfach nicht, was sie tun solle, sagte sie verzweifelt. Die Erzieherinnen hätten ihr eingebläut, sie müsse mit ihren Kindern Deutsch sprechen. Nur verstehe ihr Mann dann bloß die Hälfte. Sie rang mit sich, dann gab sie leise zu, manchmal doch mit den Kindern auf Türkisch zu reden. Sie schalte aber immer das deutsche Fernsehen an, betonte sie. Sichtlich besorgt wandte sie sich an die anwesenden Politiker*innen: »Ist das noch okay so?«

Seit Jahrzehnten wird in der Integrationsdebatte die Schuld am Versagen des deutschen Bildungssystems in den Wohnzimmern migrantischer Familien gesucht. Dort sitzen Eltern, die sich dafür schämen, mit ihren Kindern in der Sprache zu sprechen, mit der sie aufgewachsen sind, in der sie träumen - in der sie singen, wenn sie die Heimat vermissen, die sie für genau diese Kinder aufgegeben haben. Dort sitzen Menschen wie meine Freundin, die sich heute -mit 25 Jahren- in mühsamer Kleinstarbeit die Sprache ihrer Mutter zurückerobert. Weil ihre Mama glaubte, ihr Georgisch nütze ihrer Tochter doch nichts, und sie dann lieber in die französische Vorschule steckte.

Zweisprachigkeit wird in diesem Land nämlich nur wertgeschätzt, wenn die Eltern aus einem wohlsituierten Land kommen oder die Kids sie in der »International School« erlernen. »Hochbegabt? Prinzessin Charlotte spricht mehrere Sprachen!« titelten 2018 die deutschen Klatschmagazine, als sie erfuhren, dass die Britische Thronfolgerin im Kindergarten schon ein bisschen Spanisch plapperte. »Hochintelligent? Ali aus Wedding spricht in der Kita Deutsch und Zuhause Arabisch«, habe ich hingegen noch nie gelesen.

Stattdessen schreiben die Zeitungen davon, dass Alis Eltern »kaum Deutsch« sprechen, seine Mehrsprachigkeit wird also als Mangel formuliert. Dabei weisen Sprachforscher seit Jahren daraufhin, dass zweisprachige Kinder keine Nachteile haben, wenn sie im Kitaalter auf die Struktur ihrer Muttersprache aufbauen können. Und einige Studien zeigen: Je mehr die Zweisprachigkeit von den Bezugspersonen des Kindes, beispielsweise seinen Erzieher*innen, geschätzt wird, desto besser und zügiger lernt es. Klappt das, hat es sogar gewisse Vorteile gegenüber den einsprachigen Kindern: Zweisprachige Kinder lernen schneller lesen und können »flexibler« denken. Eine Fähigkeit, die so mancher FDP-Politiker doch glatt als »Plus im Lebenslauf« verbuchen sollte, statt sich zu sorgen.

Doch anstatt diese Kinder mit entsprechendem Sprachunterricht in ihrer Bilingualität zu fördern, wird ihnen auch in der Schule noch weißgemacht, ihre Muttersprache sei ein »Integrationshindernis«. Ihnen wird verboten, ihre Erstsprache auf dem Schulhof zu sprechen, und später werden sie diese auf dem Bewerbungsschreiben verheimlichen, weil in den Musterbeispielen immer nur »C1 Englisch« oder »B2 Französisch« angegeben ist.

Dabei sind ihre Muttersprachen mittlerweile längst als »Diplomaten-Skills« anerkannt - wenn sie die Privilegierten beherrschen. Die Türkisch- oder Russisch-Kurse an meiner Uni waren immer überbesetzt. Auch ich habe einmal angefangen Arabisch zu lernen - und nach drei Jahren aufgegeben. Meine spärlichen Kenntnisse werden trotzdem bei jedem Bewerbungsgespräch gelobt. Dabei spricht Ali aus Wedding mit seinen vier Jahren viel besser Arabisch als ich. Es ist Zeit, dass die Schlagzeilen, die Bildungspolitiker*innen und die Gesellschaft seine Zweisprachigkeit feiern. Mindestens genauso wie die von Prinzessin Charlotte.

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