Pentagon-Kritiker muss lebenslange Verfolgung fürchten

Vor der britischen Haft und dem Auslieferungsantrag der US-Behörden drohten Assange lange schwedische Gardinen. Wende in Ecuador kostete ihn das politische Asyl

  • Peter Steiniger
  • Lesedauer: 3 Min.

Für Julian Assange geht es um Kopf und Kragen. Der Mann, der weiter vor britischen Gerichten gegen seine Auslieferung in die USA kämpft, wo er wegen Verschwörung und Spionage angeklagt werden soll, hat bereits einen hohen Preis bezahlt. Seit seine Online-Plattform Wikileaks 2010 geheime Dokumente und Videos veröffentlichte, die aller Welt Kriegsverbrechen des US-Militärs im Irak und in Afghanistan vor Augen führte, kann sich der Australier aus der Sicht Washingtons als einer der meist gesuchten Staatsfeinde betrachten - mit allen Konsequenzen. Knapp sieben Jahre lang war Assange vor dem langen Arm der US-Behörden relativ sicher, an seinem Zufluchtsort, der ecuadorianischen Botschaft in London, aber gewissermaßen lebendig begraben.

Dem Asyl in der diplomatischen Vertretung des südamerikanischen Landes vorangegangen war eine Flucht aus gegen Kaution gewährtem Hausarrest im Juni 2012. Damals bereitete London die Überstellung des Australiers nach Schweden vor, wo gegen ihn ein internationaler Haftbefehl wegen des Verdachts der Vergewaltigung vorlag. Assange hatte Grund zu fürchten, dass Stockholm für ihn nur eine Durchgangsstation auf dem Weg in einen US-Knast sein sollte. Die drei von der Stockholmer Staatsanwaltschaft unter enger Gesetzesauslegung gegen Assange geführten Verfahren wurden bis 2019 schließlich alle eingestellt.

Schwedens 2005 novelliertes Strafgesetz stärkt die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung. Dabei wird der Tatbestand der Vergewaltigung weiter als in vielen anderen Ländern ausgelegt und umfasst seit 2005 auch Übergriffe, die bis dahin als Nötigung galten. Die Vorwürfe haben dem Ansehen des Wikileaks-Idols erheblich geschadet und das Lager seiner Unterstützer geschwächt. Mit unqualifizierten Ausfällen gegen Schwedens Gesellschaft und Justiz hat Assange selbst dazu beigetragen. Ermittelt wurde gegen ihn konkret wegen minderschwerer Vergewaltigung, sexueller Nötigung und Belästigung. Ins Visier der Behörden geraten war Assange während eines Schweden-Aufenthalts im August 2010, wo er in Stockholm einen Vortrag bei Broderskapsrörelsen, einer Vereinigung christlicher Sozialdemokraten, gehalten hatte. Sowohl mit seiner Gastgeberin Anna A., als auch mit Sofia W., einer weiteren Bewunderin, war der Star des berühmten Enthüllungsportals in diesen Tagen intim geworden.

Die beiden Frauen tauschten sich über ihren Sexualpartner aus, mit dem sie ähnliche Erfahrung gemacht haben wollen. Bei ihren jeweiligen Begegnungen mit Assange soll es zu ungeschütztem beziehungsweise Verkehr mit möglicherweise absichtlich beschädigten Kondomen gekommen sein. Mit ihrem Gang zur Polizei hatten die Frauen ursprünglich nicht beabsichtigt, Assange anzuzeigen, sondern wollten, dass der sich auf HIV testen lässt. Den Punkt Vergewaltigung, von Medien international groß berichtet, hatten die Ermittler zunächst wieder fallen gelassen. Assange bestritt alle Vorwürfe und sprach von einem Komplott. Er hielt sich noch mehrere Wochen für eine mögliche Befragung in Schweden auf, durfte schließlich das Land in Richtung Großbritannien verlassen.

Im September nahm Marianne Ny als neu mit dem Fall betraute Staatsanwältin die Voruntersuchungen wieder auf, im November 2010 folgte ein neuer Haftbefehl wegen Vergewaltigung gegen Assange. Ein jahrelanges Tauziehen zwischen Assanges Anwälten um eine Überstellung nach Schweden sowie zu Befragungen in London oder Stockholm folgte. Der UN-Sonderberichterstatter für Folter, Nils Melzer, nennt die Vorwürfe konstruiert.

2019 wurde Assange ein Kollateralopfer der US-geförderten Rechtsentwicklung in Lateinamerika und Ecuador. Der 2017 zum Präsidenten gewählte politische Renegat Lenín Moreno entzog dem Wikileaks-Gründer das Asyl. Zuvor waren in Medien Berichte über von der Moreno-Familie bei Off-Shore-Firmen im Ausland gebunkerte Gelder aufgetaucht. Ecuadors Präsident stempelte Wikileaks für die ihn belastenden sogenannten INA-Papers verantwortlich und lieferte Assange der britischen Polizei aus. Offiziell wurde der Rausschmiss aus der Botschaft mit dem »respektlosen und aggressiven Auftreten« des politischen Flüchtlings begründet, der zu diesem Zeitpunkt körperlich und psychisch von den Jahren des Aufenthalts in der Botschaft bereits schwer gezeichnet war. Bis heute bietet kein westliches Land Assange Schutz.

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