Maske, Popcorn, Weingummi

»Endlich dürfen wieder Fans ins Stadion«, jubelt die Branche. Doch viele von denen wollen gar nicht dorthin.

Anfang März gab es zum letzten Mal Bundesligaspiele vor ausverkauften Häusern. Nun werden allmählich wieder Fans zugelassen, doch viele Vereine haben Schwierigkeiten, ihre Tickets zu verkaufen. Bei Gladbach, einem Verein, der zu Hause immer um die 50 000 Zuschauer begrüßt, waren am Samstag gegen Union Berlin noch 500 von 10 800 Tickets übrig. Von Hamburg bis Nürnberg (Schnitt: 29 700), wo am Freitagabend nur 6000 von 9620 Karten weg waren und drei von vier Dauerkartenbesitzern abwinkten, erzählen die Verantwortlichen die gleiche Geschichte: Man habe mit einem Hauen und Stechen um die wenigen Karten gerechnet und sei dann froh gewesen, dass man die meisten doch irgendwie losgeworden ist.

Dabei haben die Fans nicht die Lust am Live-Fußball verloren. Sie finden nur, dass das, was ihnen derzeit geboten werden kann, kein Livefußball ist. Denn der hat viel mit dem zu tun, was auf den Rängen passiert und was wegen Corona nicht möglich ist.

Verständlicherweise haben immer noch viele Menschen ein mulmiges Gefühl bei der Vorstellung, in ein Fußballstadion zu gehen, selbst wenn dort nach meinem Eindruck die Abstands- und Hygieneregeln ernster genommen werden als an den meisten Orten. Und doch dürfte es manchen Vereinsvertreter nachdenklich stimmen, dass ihnen die wenigen hundert Tickets nicht aus den Händen gerissen werden. Denn das, was die meisten vom Stadionbesuch abhält, kann die Branche in Corona-Zeiten nicht steuern.

Dieser Tage mussten die Karten einzeln verkauft werden, zu zweit konnte man beispielsweise in Nürnberg zusammensitzen, größere Menschengruppen blieben verboten. Mindestens drei Sitze müssen zwischen den Einzelnen liegen, Masken sind obligatorisch, die Versorgungsstände geschlossen.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Das alles finde ich richtig, weil es zurzeit eben Wichtigeres gibt als Fußball. Doch der große Teil der Fans hat eben offenbar beschlossen, dass er mit dem nächsten Stadionbesuch so lange wartet, bis das Ganze wieder halbwegs so wie im Vormärz stattfindet. Auch wenn das dauern kann.

Das sagt jede Menge darüber aus, warum Menschen in ein Fußballstadion gehen. Nämlich nicht primär aus den Gründen, die viele Offizielle für entscheidend halten. Es geht ihnen nicht um ein Maximum an Stars, den bestmöglichen Tabellenplatz und größtmögliches Spektakel. Es geht um Fußball als Gemeinschaftserlebnis. Den Sieg der eigenen Mannschaft und das herrlich herausgespielte Führungstor könnte man schließlich auch im Fernsehen »live« anschauen. Und eine Bindung zu den Spielern, die sie alle zwei Wochen aus der Nähe sehen wollen, baut sich sowieso nicht auf. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass der Angehimmelte in der kommenden Saison bei Chelsea oder dem Lokalrivalen spielt, ist höher als die, dass er dann noch das gleiche Trikot trägt wie die Fans. Um das, was Manager wichtig finden, geht es Fans also nur am Rande.

Ich habe in den letzten Monaten mit vielen Menschen geredet, die sehr plastisch geschildert haben, unter welchen Einschränkungen ihres Freizeitverhaltens sie am meisten leiden. Interessant war, dass viele, die ich für beinharte Fußball-Maniacs gehalten hatte, jetzt erst gemerkt haben, wie wichtig Kunst, Kino und Musik sind. Das ist eine Erkenntnis, die leider nicht bis zu Politikerinnen und Politikern durchgedrungen ist, die wahrscheinlich auch deshalb Autos und nicht Musikclubs für systemrelevant halten, weil sie vorm Einschlafen um 22 Uhr noch mal zärtlich ihren Autoschlüssel streicheln.

Diejenigen, die den Fußball im Stadion vermissten, hatten auch schöne Geschichten parat. Vom Ritual beim Betreten des Blocks über Beobachtungen im Habitat (»und dann brüllt der Typ, der drei Reihen hinter mir links oben steht, immer …«) bis zur Aufzählung all der Menschen, die man zwar auch mal privat einladen könnte, die man aber nicht einlädt, weil man sie sowieso alle zwei Wochen sieht. Sie berichteten also vom Gemeinschaftserlebnis in einem Stehplatzblock, der seit Jahren zu 90 Prozent mit den immer gleichen Leuten gefüllt ist.
Masken, Abstand und das Lunchpaket, das der VfL Bochum für 10,48 Euro anbietet (stilles Wasser, eine Cola, Popcorn, Weingummi, Laugengebäck), haben mit Fußball nichts zu tun. Da können die Spieler da unten noch so schöne Tore schießen.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal