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Stühlerücken mit Ansage

Mainz 05 macht den Assistenztrainer zum neuen Chef. Für mehr fehlt das Geld

  • Frank Hellmann, Mainz
  • Lesedauer: 4 Min.

Achim Beierlorzer gehört noch zu jenen Fußballlehrern, die das Berufsleben bereits aus einer ganz anderen Perspektive kennen. Vor seinem Einstieg ins Trainermetier arbeitete der gebürtige Franke als Mathematiklehrer am Gymnasium. Sein liebstes Teilgebiet: die Funktionentheorie. »Funktionen zu analysieren und zu diskutieren mit all den Dingen, die das beinhaltet: Höhepunkte, Wendepunkte, Flächenoptima«, verriet er einmal. Nun ist der 52-jährige Beierlorzer auf einem Tiefpunkt angelangt: Am Montag verkündete der FSV Mainz 05 wenig überraschend die Trennung von seinem schwer angezählten Cheftrainer. Die Entlassung sei das Ergebnis einer Analyse der sportlichen Situation durch Sportvorstand Rouven Schröder und den Vorstandsvorsitzenden Stefan Hofmann, teilte der Bundesligist mit.

Die Stimmung befand sich nach dem Trainingsstreik vergangene Woche und der 1:4-Heimpleite gegen den VfB Stuttgart auf dem tiefsten Tiefpunkt, würde ein Nicht-Mathematiker wohl sagen. Zudem galt das Binnenverhältnis zwischen Trainer und Mannschaft als zerrüttet. Man habe sich mit der Frage beschäftigt, »in welcher Form wir der aktuellen Entwicklung Rechnung tragen und wie wir der Mannschaft kurzfristig und perspektivisch neue Impulse geben können«, ließ Schröder verlauten. Er selbst hatte Beierlorzer vor zehn Monaten kurz nach dessen Entlassung beim 1. FC Köln mit einem Dreijahresvertrag nach Mainz gelockt, obwohl dessen Referenz rheinabwärts mit Platz 17 nach elf Spieltagen arg überschaubar gewirkt hatte. Die Mainzer übergibt Beierlorzer nach zwei Spieltagen nun kurioserweise auf dem gleichen Rang. »Ich bin enttäuscht über die Entscheidung des Vereins«, teilte der freigestellte Trainer mit, der »nichtsdestotrotz Mainz 05 und der Mannschaft für den weiteren Weg alles Gute« wünschte.

Für das anstehende Auswärtsspiel bei Union Berlin (Freitag, 20.30 Uhr) setzen die Nullfünfer zunächst auf eine interne Lösung, die zugleich die billigste Variante für den in wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckenden Nischenklub bedeutet: Der bisherige Co-Trainer Jan-Moritz Lichte übernimmt »bis auf Weiteres«, wie es hieß.

Der 40-jährige Fußballlehrer gehört seit drei Jahren zum Trainerstab, drängte bislang aber nicht in die vordere Reihe. Mit einer Ausnahme: Als Beierlorzers Vorgänger Sandro Schwarz vor fast genau einem Jahr eine Sperre abzubrummen hatte, war Lichte gegen den SC Paderborn vertretungsweise auf der Bank eingesprungen. Schröder lobt nun explizit die »fachliche Expertise« eines schnellen Denkers, der seine Fußballlehrerlizenz 2011 als Jahrgangsbester abgeschlossen hat.

Der Sportvorstand traut ihm sogar zu, das Team »durch die weitere Saison zu führen« - seine Entwicklung werde genau begutachtet. Es wäre nicht der erste Assistent, der eine solche Chance ergreift. Daher erklärte Schröder: »Die neue Rolle bietet Jan-Moritz Lichte auch die Chance, seine Idee für unseren Fußball umzusetzen und sich als Führungspersönlichkeit zu entwickeln und zu profilieren.«

Die Interimslösung möchte sich lieber erst einmal auf das konzentrieren, was er »unmittelbar beeinflussen kann«. Daher stehe die Vorbereitung auf das Auswärtsspiel an der Alten Försterei für ihn im Mittelpunkt. Hört sich ganz so an, als müsse der etwas öffentlichkeitsscheue Trainer erst noch für einen dauerhaften Job im Rampenlicht begeistert werden.

Es kann indes nicht schaden, wenn ein in seinen Grundfesten erschütterter Verein erst einmal allen Protagonisten ein bisschen Zeit gibt. Kaum ein Standort benötigt die nächste Länderspielpause so sehr wie die Rheinhessen, die in ihre schwerste Sinnkrise seit zwölf Jahren ununterbrochener Erstklassigkeit geraten sind. Dass unter die Chaostage kein schneller Schlussstrich gezogen werden kann, machte Schröder auch deutlich: »Mit dem Wechsel an der Position des Trainers ist unsere Analyse der aktuellen Situation nicht abgeschlossen. Wir sind weiter in intensivem Austausch innerhalb der Vereinsgremien und mit der Mannschaft, um die Vorkommnisse der vergangenen Woche selbstkritisch aufzuarbeiten.«

Auch der Manager steht wegen seiner Kommunikationspannen vor allem gegenüber dem nicht leicht zu führenden Profikader in der Schusslinie. Doch Schröder hat deshalb keine Entlassung zu fürchten, weil es zum einen dann eklatant an sportlicher Kompetenz im Vorstand fehlen würde, zum anderen besitzt er einen Vertrag bis 2024, dessen Auflösung sich der Klub schlicht nicht leisten kann.

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