Nie wieder... links

Im Mai 1990 versammelte sich die linksradikale Bewegung Westdeutschlands, um gegen die »Annexion der DDR« zu protestieren. Danach fiel sie auseinander.

  • Gerhard Hanloser
  • Lesedauer: 6 Min.

Im Jahr 1990 demonstrierte die radikale 80er-Jahre-Linke Westdeutschlands zum letzten Mal gemeinsam und vereint: Unter dem Motto »Nie wieder Deutschland!«

Das stand auf dem schwarz-roten Transparent, das die damaligen linken Grünen Jutta Ditfurth, Angelika Beer, Claudia Roth und andere am 12. Mai 1990 an der Spitze einer Demonstration durch die Innenstadt von Frankfurt am Main trugen. Das Foto davon ist heutzutage Rechten und Rechtsradikalen willkommener Beweis dafür, wir lebten in einer »antideutschen«, »links-grün versifften« Republik.

Damals waren 20.000 Teilnehmer*innen dem Demo-Aufruf, der sich gegen die drohende »Annexion der DDR« aussprach, gefolgt. Hier demonstrierte eine kleine Minderheit gegen den vorherrschenden Geist der »Bonner Republik« und machte Front gegen den deutschen Nationalismus. Doch diese Minderheit war bündnisfähig. Die »Tagesschau« berichtete am Abend, dass »über 100 linke, grüne und antifaschistische Gruppen« zu der Manifestation gegen die deutsche Einheit aufgerufen hätten. Mit dabei waren auch Linke, die aus der DDR nach Frankfurt gereist waren. Die Abschlusskundgebung auf dem Römer musste abgebrochen werden, weil die Polizei prügelnd in die Demo stürmte und und sie auf dem engen Platz an den Rand einer Massenpanik brachte. Angeblich waren auf sie Flaschen geworfen worden.

Als Pol der Subversion und der Negation fungierte die »Radikale Linke«, eine linksradikale Sammelbewegung, die sich im Frühjahr 1989 gegründet hatte, um gegen die »rosa-grüne Besoffenheit« der Realos von SPD und Grünen anzugehen. Hauptinitiatoren waren Publizisten der Zeitschrift »Konkret«, die Ökosozialisten Thomas Ebermann und Rainer Trampert und Aktivist*innen aus dem norddeutschen Kommunistischen Bund (KB). Zum Zeitpunkt der Frankfurter Demo waren Ebermann und Trampert gerade bei den Grünen ausgetreten.

Im Demo-Aufruf war folgende Einschätzung der politischen Lagen zu lesen: »In der Auseinandersetzung der Systeme nach dem Zweiten Weltkrieg setzt sich derzeit der Kapitalismus gegenüber nichtkapitalistischen Gesellschaftssystemen durch. Die innere Brüchigkeit der bürokratischen Herrschaft in den Staaten des RGW beschleunigte diesen Vormarsch. Dies ändert aber nichts an den menschenfeindlichen Grundlagen des Kapitalismus.« Dieser Kapitalismuskritik sei eine zugespitzte Deutschlandkritik zur Seite zu stellen, denn die deutsche Geschichte war mit Antisemitismus, Ultranationalismus und dem Griff zur Weltmacht verbunden.

Von wem die Parole »Nie wieder Deutschland« stammt, ist umstritten. Jürgen Elsässer, damals prominentester »Antideutscher« aus dem KB, reklamiert sie für sich, aber auch der ehemalige Maoist und Hamburger Poptheoretiker Günther Jacob meldete ein Copyright an. Ikone der Nie-wieder-Deutschland-Bewegung war weder Mao, noch Lenin oder zuletzt der nach eigenem Bekunden deutschenfreundliche Stalin, sondern Marlene Dietrich. Sie hatte 1939 im Exil die US-amerikanische Staatsbürgerschaft angenommen, US-Truppen unterstützt und soll einem Reporter gegenüber geäußert haben: »Deutschland? Nie wieder!«

Doch im Juni 1990 erstattete die damals 88-jährige Schauspielerin Anzeige gegen die grüne Einheitsgegnerin Jutta Ditfurth. Sie habe das nie gesagt – schon gar nicht in Bezug auf die bevorstehende Vereinigung der beiden Deutschlands. Im Laufe des Jahres 1990 stellte sich heraus, dass die Stimmen, die auf eine Eigenstaatlichkeit der DDR pochten, vollständig marginalisiert wurden, so dass die deutsche Einheit unvermeidbar war. In Berlin wurde am 3. November 1990 nochmals gegen Deutschland demonstriert, mit 10.000 Teilnehmern unter dem Motto »Der Tod ist ein Meister aus Deutschland – Gegen das Feiern, gegen das Vergessen«. Ein Monat später erfolgte der Anschluss der DDR an den Geltungsbereich der Bundesrepublik.

Im August hatte die Volkskammer der DDR für den Beitritt nach Art. 23 GG votiert, laut Bundeskanzler Helmut Kohl der »Königsweg« zur Einheit, womit der andere grundgesetzliche Weg zur Einheit mit Artikel 146 ausgeschlagen wurde. Heutzutage beziehen sich eher rechte Kräfte auf letzteren Artikel. Am Rande der Hygiene- und Coronademos konnte schon mal ein kryptisches Schild mit der Aufschrift »§ 146« auftauchen. Mit der in dem Paragraf formulierten »freien Entscheidung« des deutschen Volkes, sich eine Verfassung zu geben, hatte 1990 die radikale deutsche Linke wenig im Sinn. Lieber wollte man an der Ordnung von Jalta und Potsdam festhalten, das deutsche Volk eingehegt und entnazifiziert sehen.

Denn 1989 hatte sich in der DDR die Parole »Wir sind das Volk« schnell in »Wir sind ein Volk« transformiert. Mit Rassismus- und Antisemitismusanalysen bewaffnet wusste die radikale Linke: Nie wieder deutsches Volk!

Die Tragödie der Linken zu Wiedervereinigungszeiten bestand darin, dass sie als Klassenkämpfer und Maoisten der langen, roten 70er Jahre dem »werktätigen Volk« zur Macht verhelfen wollten, um sich dann ab 1989 einem tendenziell antikommunistischen »Volk« gegenüber zu sehen, das nach der D-Mark schrie, und dessen jugendliche Ränder Flüchtlingsheime abfackeln wollte. Damals wurde mit der Enttäuschungskategorie »Volk« auch noch eine weitere Kränkung der Linken entsorgt: die Klasse.

Nicht alle wollten das so hinnehmen. Der operaistische Theoretiker und Historiker Karl Heinz Roth hatte in seiner Rede auf dem Kongress der radikalen Linken Pfingsten 1990 noch konstatiert, dass zwar das Proletariat im Verlauf der deutschen Geschichte integriert, nationalisiert und eingebürgert worden sei, doch immer wären auch Alternativen gegeben gewesen, die nun angesichts der drohenden ökonomischen Verwüstungen in der bald einverleibten DDR zu reaktivieren seien.

Ein paar Jahre später sprach Roth dann von der »Wiederkehr der Proletarität« und forderte die Linke auf, »Proletarische Zirkel« zu gründen. Nichts davon passierte, die Linke räumte erst mal bei sich selbst mehr ab als auf. Die DKP schrumpfte auf ein Zehntel ihrer Mitgliedschaft, der Kommunistische Bund (KB) spaltete sich, ein Teil ging auf die antideutsch-ideologiekritischen »Bahamas« und wähnte sich in einer spezifischen Variante autoritärer Identitätspolitik als zutiefst »antideutsch«. Den völkischen Nationalismus und Antisemitismus, den man als reaktionäre Kategorien und als Leitideologie des »Vierten Reichs« erkannt hatte, entdeckte diese »antideutsche Linke« jetzt vornehmlich in der linken Geschichte: vom populistischen Antikapitalismus des 19. Jahrhunderts über die Politik der KPD in den 20er und 30er Jahren bis zur Pro-Intifada-Parole der Hamburger Hafenstraße.

Abschiednehmen war nun für einige »antideutsche« Kombattanten angesagt, nicht nur von regressiven Momenten der linken Geschichte, sondern von der linken Tradition an sich. Neue Traditionslinien mussten erfunden werden und begründeten unter anderem eine prozionistische Antifa mit Israel-Fahnen.

Die Verwirrung begann 1990. Als unmittelbar nach dem Anschluss der DDR die USA ihren ersten Krieg gegen den Irak führten, standen die Reste der Linken Kopf. Die »antideutschen« Teile um die wortgewaltigen Publizisten Wolfgang Pohrt und Eike Geisel kaprizierten sich auf den vermeintlichen Antiamerikanismus und Antisemitismus der Friedensbewegten und Irakkriegs-Gegner*innen. Der linke Antiimperialismus wurde entsorgt.

Eine weitere Überforderung brachten die jugoslawischen Zerfallskriege und der Kosovokrieg der NATO. Als verteidigungspolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sprach sich die ehemalige antideutsche Fronttransparentträgerin Angelika Beer für das NATO-Bombardement Serbiens und das Eingreifen der Bundeswehr im Kosovokrieg 1999 aus. Jürgen Elsässer, »Bahamas« und »Konkret« positionierten sich wiederum gefühlt antifaschistisch auf der Seite der Serben um Slobodan Milošević und Ratko Mladić. Einzig Elsässer erkannte später, dass diese beiden Politiker mehr völkisch motivierte serbische Nationalisten als antifaschistische Sozialisten waren, und er wurde: völkisch motivierter, deutscher Nationalist. Den zweifelhaften Genuss, bei Demonstrationen in der Stärke von 20.000 Teilnehmer*innen dabei und Teil einer angefeindeten kleinen, aber relevanten Minderheit zu sein, der sehr pro-deutschen »Coronaleugner«, hat einzig dieser mutmaßliche Erfinder des »Antideutschtums«, der nun als Meinungsbildender Rechtsradikaler reüssiert.

Die Linke indes ist grün-liberal, halb-sozialdemokratisch oder selbstbezüglich und damit nahezu inexistent geworden.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal