Ostdeutsche sehen die EU skeptischer als Westdeutsche

Die geringe Zustimmung zur Europäischen Union stellt Initiativen und Nichtregierungsorganisationen im Osten vor Herausforderungen

  • Max Zeising, Leipzig
  • Lesedauer: 3 Min.

Die deutsche Einheit vor 30 Jahren brachte nicht nur Bürgerrechte, Demokratie und Kapitalismus nach Ostdeutschland, sondern sorgte auch auf europäischer Ebene für einen Wandel. So trat die DDR am 3. Oktober 1990 nicht nur der Bundesrepublik bei. Zugleich wurde das Gebiet der ehemaligen sowjetischen Besatzungszone Teil der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG).

Doch während Deutschland bis heute nicht gänzlich geeint zu sein scheint - nach wie vor sind die Löhne im Osten und die Zustimmungswerte zur Demokratie niedriger -, so zeigt sich dieser Riss auch in der Haltung zur EU, wie eine aktuelle Umfrage im Auftrag der Europa-Grünen ergab. Demnach meinen die Deutschen mehrheitlich, dass die EU-Mitgliedschaft mehr Vor- als Nachteile mit sich bringt, jedoch zeichnet sich ein Ost-West-Unterschied ab: In Westdeutschland sehen 66,1 Prozent der Befragten eine EU-Mitgliedschaft positiv, in Ostdeutschland nur 51,9 Prozent.

Allerdings, so die Grünen, müssten die geringeren Zustimmungswerte nicht zwingend als grundsätzliche Ablehnung der europäischen Integration gedeutet werden. »Auch wenn die Menschen im Osten sicherlich auch aus ihrer Geschichte heraus die EU zurückhaltender beurteilen, darf das nicht als Ablehnung gewertet werden, sondern vielmehr als der Wunsch nach Teilhabe. Denn stärker als im Westen befürworten sie Volksabstimmungen als Instrument zur direkten Beteiligung am politischen Prozess«, sagte die sächsische Grünen-Europaabgeordnete Anna Cavazzini. Im Westen sprechen sich nur 53,4 Prozent der Befragten für EU-weite Referenden aus, im Osten sind es 66 Prozent.

Dennoch gibt es in der Bewertung der europäischen Integration nach wie vor große Unterschiede zwischen Ost und West. Umso härter erscheint die Aufgabe, in Ostdeutschland für die europäische Idee zu werben. Auf lokaler Ebene sind es vor allem Bürgerinitiativen und Nichtregierungsorganisationen wie die Europa-Union Deutschland (EUD), die Union der Europäischen Föderalisten (UEF) und sogenannte Europahäuser, die sich dieser Aufgabe verpflichtet sehen.

In Leipzig organisierte das Europahaus am Donnerstag eine Veranstaltung mit dem Titel »Leipzig, Sachsen, Deutschland und die Europäische Union«, um über die Wechselwirkungen der verschiedenen politischen Ebenen zu diskutieren. Geladen war etwa Sachsens Justizministerin Katja Meier (Grüne). Mit Maximilian Krah war auch ein Vertreter der europafeindlichen AfD zu Gast. Ansonsten waren vor allem Bürger gekommen, die der europäischen Idee grundsätzlich etwas Positives abgewinnen können. Viele wünschten sich eine Vertiefung der europäischen Zusammenarbeit, beispielsweise eine Neugründung als Bundesstaat, einen gemeinsamen Finanzminister oder den Euro als Währung für alle Mitgliedsstaaten. Kritik und Frust, Wut und Hass blieben fast gänzlich außen vor.

»Die EU-Kritiker toben sich eher in den sozialen Medien aus«, sagte der Geschäftsführer des Europa-Hauses Leipzig, Christian Dietz. Im Gespräch mit »nd« forderte er die Politik zum Handeln auf: »Die Kritik ist nicht grundlos. In Ostdeutschland gibt es sehr wenige Möglichkeiten, mit europäischen Themen in Kontakt zu kommen.« Dietz sieht ein »riesiges Strukturproblem, weil Träger der politischen Bildung wie Akademien und Stiftungen in den westdeutschen Bundesländern traditionell gewachsene Strukturen haben, die wir hier so nicht haben«. Laut einer Statistik des »Bundesverbands Deutscher Stiftungen« von 2019 kommen von knapp 23 000 Stiftungen in der Bundesrepublik nur 1613 aus ostdeutschen Flächenländern.

Auch Katharina Wolf, Vorsitzende der Europa-Union Sachsen, nimmt diesen Ost-West-Unterschied wahr. Wenngleich sie eine zunehmende Angleichung sieht. Wolf bemängelt Missstände in der politischen Bildung: »In Sachsen hat man 20 Jahre politische Bildung mit parteipolitischer Indoktrination verwechselt«, sagte sie dem »nd« und berichtete von Auseinandersetzungen mit Schulleitern: »Die haben uns weggeschickt, weil sie gesagt haben, dass sie keine Politik in der Schule haben wollen. Wir mussten die erst einmal aufklären, dass wir keine Parteipolitiker sind.«

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