Aufkauf der Stadt in Reinform

Berliner Bezirke prüfen Vorkauf für rund 55 von 146 Häusern, die Heimstaden kaufen will

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.

Es ist laut vor dem Roten Rathaus am Dienstagmorgen. Es wird getrommelt, rund zwei Dutzend Menschen protestieren. »Wir sind hier, weil wir in unseren Häusern bleiben wollen«, sagt Dodi. Sie fordert effektiven Milieuschutz und bezahlbare Mieten. Dodi spricht für das Bündnis »Fünf Häuser«, das sich gegen den Verkauf an den skandinavischen Wohnungskonzern Heimstaden wehrt. Inzwischen geht es um 146 Häuser. Ende August war zunächst der Kauf von 16 Häusern bekannt geworden, davon die besagten fünf in Friedrichshain-Kreuzberger Milieuschutzgebieten. Am 18. September gab Heimstaden den Kauf von 130 Häusern mit rund 3900 Wohnungen bekannt - laut Konzern für 830 Millionen Euro.

Für die fünf Häuser, die sich als 16 entpuppt hatten, wird die Zeit langsam knapp. Am 20. Oktober läuft die Frist für die Ausübung des Vorkaufsrechts durch den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg ab. Mindestens einmal pro Woche gehen die Mieter auf die Straße, zuletzt am Sonntag bei einem Kiezspaziergang zu den betroffenen Häusern in Friedrichshain. Davor haben sie in der Reichenberger Straße in Kreuzberg demonstriert und vor dem neuen Heimstaden-Büro am Kurfürstendamm. Sie glauben den Beteuerungen nicht, dass der vom norwegischen Milliardär Ivar Tollefsen gegründete Konzern sie nicht verdrängen wird. Erst Mitte September verlor er einen Prozess, den die norwegische Hauptstadt Oslo angestrengt hatte, um nachträglich das Vorkaufsrecht auszuüben. Heimstaden hatte den Kauf der Immobilien schlicht nicht gemeldet.

Die Mieter beunruhigt vor allem der hohe Kaufpreis. Er liegt so hoch, dass der Friedrichshain-Kreuzberger Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) ein preislimitiertes Vorkaufsrecht prüfen lässt. Das kann greifen, wenn der Kaufpreis mehr als 25 Prozent über dem sowieso schon hohen Verkehrswert liegt. Der Konzern warb mit einem Brief an die Mieter um Vertrauen und versprach, keine Miet- in Eigentumswohnungen umzuwandeln. Diese fordern die Unterzeichnung der seit Wochen vorliegenden Abwendungsvereinbarungen, die Umwandlungen und Luxussanierungen für bis zu 20 Jahre ausschließen.

Die Shoppingtour von Heimstaden in Berlin ist ein Kraftakt für die Bezirke. Für rund 55 Häuser prüfen sie derzeit die Ausübung von Vorkaufsrechten. Allein 27 sind es in Neukölln, elf in Tempelhof-Schöneberg, elf in Friedrichshain-Kreuzberg und noch einmal ein halbes Dutzend in Pankow. Allein 802 Infobriefe hat der Neuköllner Stadtentwicklungsstadtrat Jochen Biedermann (Grüne) verschickt, um die Mieter zu informieren. »Es wird darum gehen, dass Berlin mit einer Stimme gegenüber Heimstaden spricht. Es wird auf jeden Fall zentral passieren«, sagt Biedermann zu »nd«. Die Bezirke sowie die Senatsverwaltungen für Stadtentwicklung und Wohnen sowie für Finanzen stünden bereits in engem Kontakt, berichtet er. »Es wird eine Herausforderung, mit so vielen Häusern zu kommunizieren. Wir werden das kanalisieren und beschränken müssen«, kündigt der Stadtrat an.

»Das ist der Inbegriff vom Aufkauf der Stadt«, erklärt Lorena Jonas auf Twitter. Sie engagiert sich bei 23 Häuser sagen Nein, dem Bündnis, das sich kürzlich gegen den Kauf durch die Deutsche Wohnen gewehrt hatte. Immerhin hat der Konzern Abwendungsvereinbarungen für die in Milieuschutzgebieten liegenden Häuser unterzeichnet.

»Der aktuelle Vorgang zeigt, dass die bisherige Praxis des Vorkaufsrechts an Grenzen stößt«, sagt der Friedrichshain-Kreuzberger Linken-Bundestagsabgeordnete Pascal Meiser zu »nd«. »Das Vorkaufsrecht muss dringend für die Kommunen vereinfacht werden.« Canan Bayram, Bundestagsabgeordnete der Grünen und ebenfalls vor Ort am Roten Rathaus, fordert ein Umwandlungsverbot im Baugesetzbuch. Das ist gerade auf Betreiben der CDU aus dem aktuellen Gesetzentwurf für die Novellierung gestrichen worden.

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