Das Licht unter dem Scheffel

In »Streulicht« schreibt Deniz Ohde über eine Bildungsaufsteigerin. Sophia Sailer spricht mit ihr über Chancen und Hürden

  • Lesedauer: 5 Min.

Laut einigen Medien hatten Sie dieses Jahr ihren Durchbruch: Für ihren Roman »Streulicht« haben Sie den Jürgen-Ponto-Preis bekommen und stehen nun damit auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises. Was bedeutet das für Sie?

»Sie hatte ihren Durchbruch« - genau diese Formulierung fand ich sehr witzig. Aber ich wollte schon immer, dass das irgendwo steht, deshalb habe hab ich mich doch sehr gefreut. Dass das Buch so erfolgreich ist und so viel positives Feedback erhält, nachdem man drei Jahre lang daran gearbeitet hat, hätte ich mir nicht schöner ausmalen können. Der Deutsche Buchpreis wurde zwar noch nicht vergeben, aber ich fühle mich schon jetzt als Gewinnerin und kann eigentlich nicht mehr verlieren - egal wie es ausgeht.

Das ist ja schon ein Erfolg - vor allem beruflich. Herzlichen Glückwunsch! Damit sind wir eigentlich auch schon bei einem der großen Themen des Romans. Schließlich spielen das Bildungssystem und seine damit verknüpften Chancen, aber eben vor allem auch Benachteiligungen eine maßgebliche Rolle - wieso?

Ich habe mir nicht vorgenommen, ein Pamphlet gegen den Mythos des Bildungsaufsteigers zu schreiben, es hat sich viel mehr von selbst zu dieser Geschichte entwickelt. Der Grund dafür liegt darin, dass ich selbst meinen Schulabschluss auf dem zweiten Bildungsweg gemacht habe. Das ist allerdings der einzige Berührungspunkt, ich hatte nicht vor, mein eigenes Leben zu erzählen und das habe ich auch nicht.

Dabei wird das Buch in einigen Medien als autobiografisch bezeichnet …

Ja, einmal wurde das so dahingesagt und nun wird das häufig einfach so angenommen - gefragt hat mich aber niemand. Es ist nämlich auf keinen Fall ein autobiografischer Roman und ich finde es sogar schwer, ihn autofiktional zu nennen. Es stecken so viele Szenen darin, die mir in der Form nie passiert sind. Meine Mutter ist beispielsweise nicht tot, das ist wohl ein sehr prägnanter Punkt, der nicht übereinstimmt, und ich bin auch nicht so aufgewachsen wie die Protagonistin.

Dass Sie in dem Roman den Namen der Protagonistin nie aussprechen, füttert diese Vermutungen bestimmt zusätzlich. Wieso haben Sie sich dazu entschieden, sie namenlos zu lassen?

Einerseits ist mir einfach kein guter Name eingefallen. Ich hatte ein paar Ideen, aber die fand ich im Endeffekt alle unpassend. Andererseits fand ich tatsächlich, das sich daraus ergebende Motiv ganz schön: Sie hat zwei Namen - das weiß man, aber nicht welche. Letztendlich läuft man auch Gefahr, dass Kategoriefehler gemacht werden könnten, wenn man eine Ich-Erzählerin sprechen lässt, aber das ist eine Sache, die man aus der Hand geben muss.

Sie thematisieren Rassismus und Klassismus ohne diese als solche zu benennen - auch sie bleiben ohne Namen?

Das Literarische eignet sich meiner Meinung nach nicht dafür, über etwas so zu sprechen, wie man es in einem Sachbuch tun würde. Ich habe mir die Frage gestellt, was Literatur mit Blick auf Rassismus und Klassismus leisten kann. Für mich war das Interessante, zu zeigen, wie sich diese erst einmal abstrakt klingenden Begriffe in einer konkreten Biografie bemerkbar machen. Rassismus ist ein Wort, das ein Gesamtkonstrukt beschreibt, aber eben keine direkte Erfahrung. Doch genau die wollte ich sichtbar machen. Das literarische Schreiben, welches den Blick auf das Innere der Protagonistin richtet, erschien mir dafür genau richtig. Teilweise sind dabei aber auch Entwürfe entstanden, die ich komplett wieder verworfen habe. Weil ich gemerkt habe: Hier wird es zu theoretisch oder zu sachbezogen. Das war ein Stil, an den ich mich herangeschrieben habe.

Warum ist der Ort, in dem die Protagonistin lebt, so wichtig?

Es handelt sich dabei um einen »abgehängten« Ort, der gleichzeitig auch ein wenig isoliert und weit weg vom Geschehen der Großstadt liegt. Er ist teilweise schon fast märchenhaft, wie auf eine gruselige Art verwunschen. Die Protagonistin ist dennoch sehr verbunden mit ihm - sie sieht sich wie eine Person, die aus diesem Ort entspringt, schließlich ist ihre Familie sehr stark mit ihm verwurzelt: Der Vater hat sein Leben lang in dem naheliegenden Industriepark gearbeitet, sein gesamtes Berufsleben hängt quasi von ihm ab.

Daher kommt auch der Titel?

Genau. Zuerst hatte ich sogar einen anderen, es hieß Silberfarm. Von dem war aber eigentlich von Anfang an klar, dass es sich dabei bloß um den Arbeitstitel handelt. Meine Lektorin hat den jetzigen Titel vorgeschlagen und ich habe mich fast schon geärgert, dass ich darauf nicht selbst gekommen bin. Das Wort Streulicht kommt im zweiten Kapitel vor, als es um die Beschreibung des von Industrieparks ausgehenden Lichts geht, welches die Wolken erhellt. Es nimmt also noch einmal Bezug auf das Gefühl der Verbundenheit mit diesem Ort. Außerdem wird der Protagonistin an einer anderen Stelle vorgeworfen, dass sie ihr Licht unter den Scheffel stellen würde. Daraus ergab sich für mich eine Verbindung, die dem Wort eine Doppeldeutigkeit verliehen hat, die die beiden Grundkomponenten des Textes gut zusammenfasst.

Sie haben sich drei Jahre mit dem Buch befasst. Fühlt es sich jetzt wie ein Ende an?

Es ist ganz merkwürdig: ich bin bereits seit Anfang des Jahres mit dem Buch fertig und den Sommer über habe ich nur noch darauf gewartet, dass es veröffentlicht wird. In der Zeit habe ich auch schon etwas Neues angefangen, womit ich gedanklich schon beschäftigt war. Jetzt muss ich aber zurückkehren zum »Streulicht« und habe gar nicht mehr so viel Platz für die neue Arbeit in meinem Kopf. Ich fühle mich deshalb nicht, als wäre etwas vorbei.

Nun haben Sie mir die Frage vorweggenommen, was Sie als nächstes vorhaben.

Gerade habe ich das Gefühl, erst einmal Abstand zu »Streulicht« gewinnen zu müssen, weil die Gefahr besteht, dass man aus Versehen die selben Figuren verarbeitet. Einmal ist mir das bereits passiert, dass ich gemerkt habe: diese Figur benimmt sich gerade wie eine Person aus einem alten Text. Daran merkt man, dass man noch abwarten muss, bis diese alten Figuren aus dem Kopf verschwunden sind. Nun kommt dazu, dass ich noch nie so viel Zeit mit einer Figur verbracht habe, wie bei »Streulicht«. Ich muss noch herausfinden, was Strategien für mich sein können, ich glaube aber, Zeit wird auf jeden Fall gut sein.

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