Gegen die Welt, für eine andere

Die Uraufführung von Sibylle Bergs »Und sicher ist mit mir die Welt verschwunden« am Maxim Gorki Theater in Berlin

  • Michael Wolf
  • Lesedauer: 4 Min.

Mit einem großen Knall wollte sie abgehen, doch am Ende bleibt nur das stete Piepsen der Geräte. Die namenlose Frau liegt auf der Intensivstation, sie hat sich inmitten einer Schar Turbokapitalisten in die Luft gesprengt. Das Attentat mag geglückt sein, nicht jedoch der Selbstmord. Sie muss noch eine Zeit lang weiterleben - bis das Piepsen verstummt und mit ihm all die Stimmen, die in ihr toben, all die jüngeren Versionen dieser Frau, deren Existenz einer Reihe von Schlachten ähnelt, von denen keine gewonnen werden konnte. Jobs, Familie, Männer, Konsum - alles war vergeblich, in dieser Biografie ist kein Glück zu finden.

Auch der Sprengstoffzünder hat keinen Triumph ausgelöst, eher Verbitterung. Wenn es das jetzt war, dann war da nichts. Schon vor ihrem Anschlag war die Attentäterin tot und hat sich selbst vermisst. »Ich habe um mein Leben getrauert, das so schnell vergangen war, und um die Welt, die nie eine bessere geworden ist.« Die vier Schauspielerinnen auf der Bühne tragen Bademäntel, verbergen ihre Gesichter hinter breitrandigen Brillen, sprechen chorisch, sind zunächst kaum unterscheidbar. Es geht um Sichtbarkeit in Sibylle Bergs neuem Stück, um das Unglück, als Frau in einer Gesellschaft zu leben, die nach den Plänen von Männern erbaut ist: »Und wenn wir nicht mehr fickbar sind, altern wir in Würde, das heißt, wir ziehen uns aus dem öffentlichen Raum zurück und bereiten uns darauf vor, die Welt zu verlassen, ohne zu viel Kosten zu verursachen.«

Die Uraufführung von »Und sicher ist mit mir die Welt verschwunden« schließt eine Tetralogie ab, die am Berliner Maxim Gorki Theater 2013 mit »Es sagt mir nichts, das sogenannte Draußen« begann. Alle Texte wurden von dem Regisseur Sebastian Nübling erfolgreich zur Uraufführung gebracht. Schauspielerinnen schlossen sich hier zu Chören und in Choreografien zusammen, revoltierten gegen das patriarchale System, stießen gegen gläserne Decken, gingen lustvoll in die Knie, witzelten gegen die Verzweiflung an. Den Stücken lag eine Poetik der Überlegenheit zugrunde, die Stimmen darin wussten schon immer, dass die Verhältnisse schlecht sind - und warum.

Und sie brauchten diese Schlechtigkeit, weil ihnen das Wissen um diese überhaupt erst einen Grund zu sprechen, zu wüten und zu klagen bot. Der Untergang der Welt spornte Bergs Figuren an, forcierte ihren Sarkasmus, so etwa im Vorgängerstück »Nach uns das All«, in dem sie den Planeten ohne großes Bedauern dem ökologischen Untergang überließ und die Apokalypse als ein Feuerwerk der Pointen heraufbeschwor. Man durfte bezweifeln, ob diese Stoffe eigentlich ein politisches Programm verfolgten, ob sie überhaupt an der Realität interessiert waren, oder nur die quasi-religiöse Genugtuung verkündeten, wir auf und vor der Bühne würden weniger schlimm in der Hölle leiden in dem Wissen, dass die Feuer von anderen entfacht werden, vornehmlich weißen Männern, Nazis und Kapitalisten.

Zum Abschluss der Reihe schlägt Berg nun überraschend ganz andere Töne an. Zwar fehlt auch hier nicht der Verve, das Wüten gegen die Brandstifter. Seine Kraft zieht der Text aber aus leisen Nuancen, aus der Traurigkeit. Die Gewissheit über den fatalen Zustand der Welt hat ihre Figuren offenbar nur so lange über Wasser gehalten, bis es ans Sterben geht. Sogar ein Mann darf hier als tragischer Held auftauchen, die letzte große Liebe der hier sprechenden Frau. Publikumsliebling Svenja Liesau spricht zu ihm an seinem Grab: »Du warst mir peinlich. Als uns mein Chef entgegenkam. Und ich meine Hand an mich nahm, sie versteckte und ein paar Schritte von dir abrückte und zu Boden sah.«

Schade, dass Liesau diesen Monolog in eine Show verwandelt, betrunken lallt sie an der Rampe ihren Text herunter, nimmt vermeintliche Texthänger zum Anlass, die Souffleurin anzuschnauzen. Nicht allein in dieser Szene hätte Regisseur Nübling auf die Bremse drücken können. Nur hin und wieder scheint ein wenig die Wehmut durch, die in dem Stück liegt und die eine politisch keineswegs luftige Botschaft transportiert: Vielleicht genügt es nicht, wütend zu sein und Bescheid zu wissen, was schief läuft.

Am Beginn einer Utopie fürs Politische wie fürs eigene Leben könnten auch positive Werte wie Verantwortung, Familie, ja sogar Liebe stehen. Nübling interessiert sich wenig für diese neue Botschaft seiner Autorin. Er lässt Svenja Liesau, Anastasia Gubareva, Vidina Popov und Katja Riemann den Text gewohnt souverän mal nölen, dann brüllen und immer wieder singen. Wie eine Elektroband stehen sie nebeneinander auf der Bühne, vor sich je einen Synthesizer, der ihnen auch als Rollator dient. Sie treten als Gruppe auf - auch Stargast Katja Riemann fügt sich klaglos ins Kollektiv -, sprechen die meisten Texte chorisch, aber jede kriegt auch den einen oder anderen kleinen Soloauftritt, so wie sie auf der Bühne überhaupt sichtlich Freude haben, gemeinsam der Welt entgegenzutreten. Dass diese aber, wie der Titel doch schon aussagt, bereits schmerzlich vermisst wird, dafür haben sie leider keinen Sinn.

Nächste Vorstellungen: 31. Oktober, 6., 7. und 8. November

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