Das letzte Fass

Kneipenbesitzer auch in Nordrhein-Westfalen leiden unter den Coronabeschränkungen - Der Wirt im Spunk findet sie unangemessen

»Machs gut«, »Halt die Ohren steif«, »Meld dich, wenn du Hilfe brauchst«. Als Andreas Kluczynski am Samstagabend kurz vor elf seine Kneipe schließt, wollen ihm viele Stammgäste noch einmal Mut für den anstehenden Teil-Lockdown zusprechen. Der Samstag war ein guter Abend für den Wuppertaler Wirt. Die wenigen Tische, die in seiner Kneipe »Spunk« stehen, sind voll besetzt. Fast niemand geht, als das Fußballspiel zwischen Borussia Mönchengladbach und RB Leipzig abgepfiffen ist. Die Menschen bleiben sitzen, bestellen lieber noch ein oder zwei Bier mehr, als sie sonst getrunken hätten. Dass es schon früh am Abend kein Pils vom Fass mehr gibt, stört die Gäste nicht. Kluczynski erklärt, ein neues Fass anzuschließen, würde sich nicht lohnen. Das hat er bei der Zwangsschließung im Frühjahr erlebt. Was an den Hahn angeschlossen war, konnte er bei der Wiedereröffnung wegschütten.

Andreas Kluczynski ist ein reflektierter Typ. Mehrmals in der Woche berichtet er auf Facebook über seine Situation als Wirt. Ungewissheit vor der letzten Konferenz zwischen den Ministerpräsidenten und Bundeskanzlerin Angela Merkel - Unzufriedenheit danach. Wenn Menschen seine Beiträge kommentieren und dabei Corona verharmlosen, gibt er deutlich Contra. »Natürlich bin ich betroffen von den Maßnahmen, das ist aber kein Grund, die Gefährlichkeit des Virus herunterzuspielen«, sagt er. »Es trifft jetzt die Falschen«, findet der Wirt. Es gebe kein großes nachgewiesenes Infektionsgeschehen in der Gastronomie. Er sei »zwiegespalten«, in seinem Laden achtet er auf Abstände, hat sich mit Menschen angelegt, die ohne Maske in die Kneipe wollten. Wenn andere Wirte nicht auf Abstände geachtet haben, ohne Masken gefeiert wurde, dann müssten diese bestraft werden, denkt Kluczynski. So aber seien die Maßnahmen zu pauschal. »Ich finde das so nicht fair!«, sagt der Wirt. Es sei doch auch viel sinnvoller, wenn die Menschen »betreut« in einer Kneipe trinken, als wenn das in Wohnzimmern passiere, wo nicht auf Abstände und Belüftung geachtet werde.

Am Samstagabend im Spunk kann man gut beobachten, wie Kluczynski und seine Kellnerin Victoria Reschop darauf achten, dass die Coronaregeln eingehalten werden. Viele Gäste kennen sich untereinander, wollen miteinander schwatzen. Bevor sich Grüppchen bilden, greifen die beiden immer wieder ein, ermahnen, dass jeder an seinem Tisch bleiben soll.

Die Kneipe ist eine Institution am Elberfelder Paradeberg. Andreas Kluczynski hat die Kneipe 1994 gegründet, damals hat der heute 57-Jährige sein Sozialwissenschafts- und BWL-Studium abgebrochen. Der Name Spunk, bezieht sich auf den Spunk aus der Kinderbuchserie Pippi Langstrumpf. Eine Anknüpfung an Andreas Kluczynskis hochschulpolitische Tätigkeit. Die Liste, in der er aktiv war, hatte eine Wahlzeitung mit dem Namen »Pippilotta« gemacht. Das nahm er in der Kneipe wieder auf. Sie sollte links sein, frech und »gegen das Establishment«. Mittlerweile ist das Spunk so etwas wie das Wohnzimmer des Viertels. Die einen kommen zum Trinken, andere wegen des Essens. Kluczynski wird oft gefragt, ob er wie im ersten »Lockdown« wieder Essen zum Abholen anbieten wird. Menschen versprechen täglich zu kommen. Aber der Wirt will diesmal nicht. »Das hat sich beim ersten Mal einfach nicht gerechnet.« Die Kühlung müsse dann durchgehend an sein, Lebensmittel beschafft werden, eine zweite Person im Laden sein. »Ich kann ja nicht gleichzeitig telefonieren, kochen und das Essen zur Tür bringen«, erklärt der Wirt.

Angst um seine Existenz hat er wegen des zweiten »Lockdowns« trotzdem nicht. Die versprochenen Hilfen von 75 Prozent des letztjährigen Umsatzes hält er für eine sehr gute Maßnahme. Nur hat er noch keine Informationen, wie diese Hilfen beantragt und ausbezahlt werden sollen. Da verlässt er sich auf seine Steuerberaterin. Außerdem haben Stammgäste im Frühjahr über 7000 Euro für die Kneipe gesammelt. Eine starke Geste und ein nützliches Polster, das den Wirt jetzt entspannt in die neue Zwangsschließung gehen lässt. Weniger entspannt ist die Situation für Kluczynskis Mitarbeiter. Minijobber, »an Hilfen für die hat wieder mal keiner gedacht«, ärgert sich der Wirt. Im Frühjahr hatte er versucht, die 9000 Euro Soforthilfe zu nutzen, um mit seinen Mitarbeitern die Kneipe zu renovieren, »damit die wenigstens ein bisschen Geld bekommen«. Dann hieß es, die Soforthilfe dürfe nicht für Lohnkosten benutzt werden. Seine Mitarbeiter werden sich jetzt beim Jobcenter anmelden.

Kluczynski glaubt nicht, dass der »Lockdown« in einem Monat vorbei ist. »In anderen Ländern sind die Zahlen nach Kneipenschließungen auch weiter angestiegen.« Viele seiner Gäste scheinen das ähnlich zu sehen. Bei der letzten Runde am Samstag trinken sie etwas wehmütig einen »Tommy und Annika«, Baileys mit Sambuca, die Schnapskombination des Spunk. Danach verabschieden sie sich und hoffen darauf, bald wieder in das Wohnzimmer ihres Viertels kommen zu können.

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