Der Abend des Hannes Wolf

Mönchengladbach gewinnt 1:0 gegen Tabellenführer RB Leipzig

  • Daniel Theweleit, Mönchengladbach
  • Lesedauer: 4 Min.

Es passiert in diesen pandemischen Monaten nicht allzu häufig, dass Menschen das Gefühl haben, durch eine Strähne des unbeschwerten Glücks hindurch zu rauschen. Umso vergnügter kann Marco Rose sein, dass er am Samstagabend genau so einen Moment der puren Freude erlebte. Manchmal kriege man »richtig einen übergebraten« von diesem unberechenbaren Leben, in anderen Augenblicken mache es hingegen »Batsch, Batsch, Batsch, und alles ist so, wie man sich das wünscht«, sagte der Trainer von Borussia Mönchengladbach. So wie bei diesem 1:0 gegen RB Leipzig, dem ersten Bundesligasieg gegen die Sachsen überhaupt. Im heimischen Stadion hatten sie bis zu diesem Abend all ihre Partien verloren. Außerdem hatte die Borussia in vier Spielen in Wolfsburg, bei Union Berlin, bei Inter Mailand und gegen Real Madrid durch späte Gegentore wertvolle Punkte verloren. Beobachter schöpften bereits den Verdacht, dass ein grundlegendes Problem vorliegen könne. Diesmal retteten sie sich ins Ziel. Und als Höhepunkt des Glücks hat Hannes Wolf, der prominenteste Neuzugang dieses Sommers, sein erstes Tor erzielt. Er habe an diesem Abend den »FC Fliegenklatsche« betreut, scherzte Rose, bei so vielen Fliegen, die auf einen Streich erledigt worden seien. Im Mittelpunkt der Nachbetrachtungen stand aber Hannes Wolf.

Der österreichische Angreifer ist so etwas wie der Lieblingsschüler von Marco Rose. Schon in der U16 bei RB Salzburg arbeiteten die beiden zusammen, gemeinsam stiegen sie dort zunächst in die U19 auf, mit der sie die Youth League, die Champions League für Juniorenteams, gewannen. Anschließend arbeiteten sie bei den Profis weiter, wurden dort zwei Mal Meister, gewannen den nationalen Pokal und wechselten 2019 in die Bundesliga. Rose nach Mönchengladbach, Wolf nach Leipzig, wo er lange verletzt war, sich anschließend nicht durchsetzen konnte und im Sommer nach Mönchengladbach verliehen wurde. Nun hat er gegen seinen ehemaligen Klub sein erstes Tor überhaupt nach seinem Wechsel in die Bundesliga erzielt. »Ich habe fast eineinhalb Jahre auf so einen Moment warten müssen und freue mich, dass der Knoten geplatzt ist«, sagte Wolf, dessen Treffer in einem ausgeglichenen Spiel die Krönung des besten Spielzuges des Abends war (60.).

Sogar der Leipziger Trainer Julian Nagelsmann gönnte seinem ehemaligen Spieler diesen Moment der Befreiung, weil er Wolf als Fußballer und als Mensch schätzen gelernt habe, wie er nach dem Spiel erzählte. Wirklich gefürchtet hat er Wolf allerdings nicht; jedenfalls verzichteten die Leipziger auf die oft in der Bundesliga getroffene Vereinbarung, dass ein Leihspieler gegen seinen eigentlichen Verein nicht eingesetzt werden dürfe. »Ich finde diese Regelung nicht gut«, sagte Nagelsmann, denn »wenn man so viel Sorge hat, dass der Spieler einen dann zu einer Niederlage schießt, dann sollte man ihn vielleicht nicht verleihen, sondern behalten und spielen lassen«. Das wollten die Leipziger aber nicht.

Eigentlich ist längst geklärt, dass alle Seiten an einem endgültigen Wechsel im kommenden Sommer interessiert sind. »Ich sehe mich als Spieler von Borussia Mönchengladbach und hoffe, dass ich länger hier sein werde als dieses eine Jahr«, sagte der 21 Jahre alte Wolf. Nur weil die Pandemie ein Loch ins Budget der Gladbacher gerissen hat, einigte man sich vorerst auf eine Ausleihe. In Salzburg hatte Wolf als ganz junger Fußballer in den beiden Spielzeiten zwischen 2017 und 2019 in der Liga 16 Treffer erzielt und elf weitere vorbereitet, er befand sich auf dem direkten Weg in eine große Karriere. Doch bei der U21-EM im Sommer 2019 erlitt er einen Knöchelbruch, musste mehrere Monate pausieren, spielte dann nur fünf Mal für Leipzig.

Nun soll ein neues Kapitel beginnen. »Ich hatte einen sehr guten Start hier mit der Vorbereitung und dann ein etwas kleineres Tief. Ich werde über Spielzeit versuchen, auf mein Toplevel zu kommen«, sagte er. Die Obhut seines großen Mentors Rose und diese interessante Mannschaft bieten dafür ein vielversprechendes Umfeld. Denn hier schaffen fast alle Spieler große Entwicklungsschritte, sogar Rose selbst lernt dazu. Als die letzten Minuten liefen, spukte der Gedanke an die vielen späten Gegentreffer durch ihre Köpfe, berichteten hinterher viele Spieler. Auch Rose war besorgt: »Normalerweise stehe ich dann an der Seitenlinie und peitsche die Jungs noch mal an und schiebe sie raus und schreie und mache und tue«, sagte er. »Heute habe ich einfach mal die Klappe gehalten, das war vielleicht gar nicht so dumm.« Die Borussia war nicht das bessere Team gewesen, aber es war eben einer dieser Tage, an denen die Pläne irgendwie aufgehen sollten.

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