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Seit 30 Jahren pflegt der Solidaritätsdienst International das solidarische Erbe der DDR

  • Martin Ling
  • Lesedauer: 7 Min.
Der nachhaltige Kaffeeanbau mit SODI-Unterstützung in Süd-Kivu sichert Existenzen in der Demokratischen Republik Kongo.
Der nachhaltige Kaffeeanbau mit SODI-Unterstützung in Süd-Kivu sichert Existenzen in der Demokratischen Republik Kongo.

Aus knapp 100 Millionen Mark der DDR wurden knapp 50 Millionen Deutsche Mark. Diese beträchtliche Summe hatte das Solidaritätskomitee der DDR bei der Währungsunion am 1. Juni 1990 auf seinem Konto - es waren Spendengelder von Werktätigen, mit denen in der DDR vor allem der Bildungsaufenthalt von Studierenden und Auszubildenden aus vielen Ecken der Welt finanziert wurde. »Mittel, auf die die Treuhand ihre Augen warf, nachdem der Rechtsnachfolger des Solidaritätskomitees, der Solidaritätsdienst International e. V. (SODI), 1991 unter deren Kuratel gestellt wurde«, erinnert sich Klaus-Dieter Peters. Er begann im Januar 1989 bei SODI, nachdem er zuvor fünfeinhalb Jahre in der Ständigen Vertretung der DDR bei dem Büro der Vereinten Nationen in Genf arbeitete, unter anderem im UN-Menschenrechtskomitee, der UN-Menschenrechtskommission sowie UN-Spezialorganisationen. Die Tätigkeit bei SODI erschien ihm spannender als nach Coswig zu den »VEB Cosid-Kautasit-Werken« zurückzukehren, dem einzigen Hersteller von Brems- und Kupplungsbelägen in der DDR oder ein Jobangebot aus dem DDR-Außenministerium anzunehmen.

»Vom März 1990 nach den letzten Wahlen in der DDR, bis die Treuhand im August 1991 kam und die Konten sperrte, hatten wir relativ hohe Autonomie bei SODI.« Wir konnten mit den Geldern die Solidaritätsarbeit in den Partnerländern fortsetzen, ob in Angola, Namibia, oder in Rumänien, erinnert sich Peters an die Anfänge zurück. Hilfslieferungen von medizinischem Material bis Kleidung und Lebensmittel in die Partnerländer und die Programme für Studierende und Auszubildende, die in die DDR kamen, waren die beiden entwicklungspolitischen Säulen des Solidaritätskomitees der DDR, auf die bei SODI aufgebaut wurde. Es war der entwicklungspolitische Runde Tisch der DDR, der Anfang 1990 ins Leben gerufen wurde und an dem neben Vertretern des Solidaritätskomitees und später des Nachfolgers SODI auch Vertreter aus vor allem kirchlichen Solidaritätsgruppen saßen, die mit vereinten Kräften den Angriff der Treuhand abwehrten.

Peters, inzwischen im Unruhestand und stellvertretender Vorsitzender von SODI, saß nicht selbst am Tisch, das Ergebnis des Kompromisses vom Mai 1992 hat er aber auch nach knapp 30 Jahren parat: Rund 12,5 Millionen DM gingen an SODI, rund 33 Millionen DM flossen in die noch zu gründende Stiftung Nord-Süd-Brücken, die entwicklungspolitische Auslands- und Inlandsprojekte von Vereinen in Ostdeutschland fördert. Fünf Millionen DM gingen in den Fonds »Deutsche Einheit«. Mit den circa 12,5 Millionen DM startete SODI den Neuanfang, fünf Millionen DM davon standen zur Verfügung, um die 290 Studierenden und Auszubildenden bis zu ihrem Studien- oder Ausbildungsabschluss zu betreuen, die noch direkt vom Solidaritätskomitee eingeladen worden waren. »Die Betreuung der anderen 7000 bis 8000 ausländischen Studierenden in der DDR übernahm der Deutsche Akademische Auslandsdienst«, erzählt Peters, der bei SODI damals für die Betreuung der Studierenden zuständig war. Mitglieder aus allen Parteien hätten sich im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit des Bundestags dafür eingesetzt, dass die Gelder des Solidaritätskomitees auch künftig für entwicklungspolitische Zwecke gesichert würden, statt komplett in den Fonds »Deutsche Einheit« zu fließen, freut sich Peters rückblickend. SODI selbst musste danach quasi bei Null anfangen: »33 der 40 Mitarbeiter orientierten sich bis 1992 freiwillig neu oder mussten aus finanziellen Gründen entlassen werden«, schaut Peters auf die schweren Anfangszeiten zurück. »Die sieben Verbliebenen haben sich dann sukzessive wieder hochgearbeitet. Deswegen existieren wir heute noch, was ich ganz schön finde.«

Anna Goos, die seit dem 1. Februar als Geschäftsführerin bei SODI tätig ist, kennt diese Geschichten nicht aus eigenem Erleben. Sie lernte SODI erst viel später in beruflichen Zusammenhängen der Entwicklungszusammenarbeit kennen. »In Papua-Neuguinea nahm ich SODI wahr, als ich über den Solidaritätsbegriff recherchierte und auf ein Video von SODI stieß, indem unterschiedliche Menschen ihr Verständnis von internationaler Solidarität auf den Punkt brachten. Das hat mich angesprochen.« Goos landete am 31. Januar aus Papua-Neuguinea in Berlin, um tags darauf bei SODI ihre Stelle anzutreten. In Papua-Neuguinea leitete sie das Landesbüro der entwicklungspolitischen österreichischen Organisation »Horizont3000«, die dort ansässigen Nichtregierungsorganisationen mit Rat und Tat beistand, um sie in die Lage zu versetzen, selbst gesteckte Entwicklungsziele zu erreichen und auch dafür nötige Finanzierungsquellen zu erschließen.

SODI selbst ist in 15 Projektländern aktiv, Papua-Neuguinea gehört nicht dazu. »In den ersten Jahren haben wir vor allem mit den alten Partnerländern weiter gemacht, Vietnam, Laos, Kambodscha, Mosambik, Namibia, Angola, Südafrika oder auch Kuba und Nicaragua, weil wir da Kontakte hatten, auf denen wir aufbauen konnten«, erzählt Peters. Die Art der Zusammenarbeit aber habe sich geändert, statt der Ausbildungsprojekte und Hilfslieferungen des Solidaritätskomitees wurde bei SODI der Schwerpunkt auf Projekte der Entwicklungszusammenarbeit gelegt wie den Bau von Kindergärten oder sanitärer Anlagen. Und neben dem Einwerben von Spenden habe auch das Einwerben von Drittmitteln immer größere Bedeutung erlangt. »Unsere ersten Anträge ab 1993 wurden vom CSU-geführten Entwicklungsministerium (BMZ) schnöde missachtet. Ich habe dann dieselben Anträge bei der EU eingereicht, dort wurden sie innerhalb von fünf, sechs Wochen genehmigt«, erinnert sich Peters. »Mit den EU-Geldern wurden dann zum Beispiel Kindergärten in Namibia gebaut«, sagt Peters, dem die Menschen auf dem afrikanischen Kontinent besonders am Herzen liegen. Erst mit dem Regierungswechsel 1998 und der Übernahme des Entwicklungsministeriums durch Heidemarie Wieczorek-Zeul von der SPD, der »roten Heidi«, fand SODI beim BMZ die gebührende Beachtung. »Die Anträge der begleitenden Maßnahmen bei der Minenräumung in Vietnam wurden bewilligt und seitdem sind wir ein fester Partner vom BMZ«, führt Peters aus.

In den vergangenen Jahren sind einige Länder hinzugekommen, in denen Solidaritätsprojekte durchgeführt werden. Nepal, die Demokratische Republik Kongo, Kamerun und Serbien zum Beispiel. »Manchmal sind es entwicklungspolitische Organisationen, die SODI fragen, ob sie nicht dieses oder jenes Projekt durchführen könnten, weil sie sich selbst zurückziehen mussten, Oxfam zum Beispiel in der Demokratischen Republik Kongo«, erzählt Goos. Dort baut SODI mit seinem lokalen Partner für 76 000 Menschen in der ostkongolesischen Provinz Süd-Kivu zentrale Wasserentnahmestellen. Auch mit Spendengeldern von nd-Leser*innen, denn das Projekt war Teil der Solidaritätskampagne 2018. »Hilfsbedarf gibt es überall auf der Welt, deswegen müssen wir uns bei SODI überlegen, welche Projekte auf Spendenbereitschaft stoßen könnten, aber auch wo es Drittmittel einzuwerben gibt«, nennt Goos zwei Kriterien für die Auswahl von Projekten. Selbstverständlich geht nichts, ohne dass die Inhalte zu SODI passen, die Stärkung ethnischer Minderheiten zum Beispiel wie der Dalit in Nepal oder der Rom*nja in Serbien. »Dabei geht es vor allem um den Ausbau der zivilgesellschaftlichen Teilhabe. Nach Serbien wollen wir auch Projekte für die Rom*nja in Albanien und Ukraine in Angriff nehmen«, blickt Goos voraus. Die Richtschnur sei die Umsetzung gemeinsam mit der Zivilgesellschaft, der partnerschaftliche Ansatz auf Augenhöhe zwischen Gebern und Nehmern, was die Finanzmittel angeht, denn der inhaltliche Austausch ist für beide Seiten befruchtend. »Gleichzeitig müssen wir unseren Partnerorganisationen auch vermitteln, dass die Fördermittel nach den Vorgaben verwendet werden, dass alle Ausgaben abgerechnet und dokumentiert werden, egal ob es sich um Spendengelder oder Steuermittel via BMZ oder Auswärtiges Amt handelt«, macht Goos die Rechenschaftspflicht deutlich. SODI ist ein gebranntes Kind. Ein Veruntreuungsfall bei lokalen Partnern aus dem Jahr 2012 bei einem Minenräumprojekt in Laos brachte die Organisation in eine Schieflage, die inzwischen wieder begradigt werden konnte.

Zu den 15 Projektländern gehört auch Deutschland. Entwicklungspolitische Bildungsarbeit wird bei SODI seit Langem großgeschrieben. Das Projekt »History of Food« klärt über globale Ungerechtigkeiten am Beispiel der Geschichte der Nahrungsmittel auf und umfasst drei Komponenten, eine Wanderausstellung, Workshops und Unterrichtsmaterial. »Die Wanderausstellung war gerade zwei Monate in der Bibliothek am Wasserturm in Berlin-Prenzlauer Berg kombiniert mit Workshops. Das Rathaus Lichtenberg hat für 2021 die Wanderausstellung schon gebucht«, weist Goos auf das Interesse an dem erfolgreichen Projekt hin. Auf allen Kanälen entwicklungspolitisches Interesse zu wecken, ist für Goos eine zentrale Herangehensweise. Ob das Filmkollektiv Draufsicht, das gerade sein zehnjähriges Jubiläum feierte und teilweise gemeinsam mit dem kamerunischen Pendant in Bamenda mitten aus der Krisenregion im englischsprachigen Teil von Kamerun berichtet oder das Magazin »WEITWINKEL«, das SODI seit 2018 herausgibt. Die aktuelle dritte Ausgabe beleuchtet das siebzehnte der 17 von der UNO verabschiedeten nachhaltigen Entwicklungszielen SDGs, die bis 2030 umgesetzt werden sollen: Durch globale Partnerschaften und Ressourcen die Umsetzung der anderen 16 Ziele ermöglichen. SODI wird daran mitarbeiten, Covid-19 ist da nur eine zu bewältigende Herausforderung mehr. »Das Profil weiter schärfen, SODI als lernende Organisation stärken und behutsam wachsen.« Diesen Dreiklang will die neue Geschäftsführerin Goos mit Leben erfüllen. Die Basis für die kommenden 30 Jahre wäre damit gelegt. Das fände auch Klaus-Dieter Peters schön und mit ihm viele andere, die in Nord und Süd SODI geprägt und unterstützt haben.

Spendenkonto: Solidaritätsdienst International e. V. , Bank für Sozialwirtschaft IBAN: DE33 1002 0500 0001 0201 00 BIC: BFSWDE33BER

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