Mehr Negativzinsen in Ostdeutschland

Fast jede zweite Bank erhebt »Verwahrentgelt« bei Neukunden

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 3 Min.

Deutschlands Banken sitzen bereits auf viel zu viel Geld. Doch trotz minimaler Zinssätze fließen ihnen immer mehr Einlagen zu. Statistiken der Deutschen Bundesbank zeigen für den Zeitraum von Jahresanfang bis Ende Juli einen rasanten Anstieg der sogenannten Sichteinlagen in der deutschen Kreditwirtschaft von mehr als acht Prozent auf 2,55 Billionen Euro. Es sind weniger die privaten Großbanken, als Sparkassen und Genossenschaftsbanken, die von Kundengeldern förmlich überschwemmt werden. Bei den Volks- und Raiffeisenbanken hat sich dieser Zustrom in Corona-Zeiten noch »drastisch beschleunigt«, und auch die Sparkassen klagen über »Rekordbeiträge«.

Aus Sicht der Kreditwirtschaft steht den rasant wachsenden Einlagen keine entsprechend wachsende Nachfrage, beispielsweise nach Darlehen, gegenüber. Das überflüssige Geld parken Banken und Sparkassen notgedrungen bei der Europäischen Zentralbank (EZB) und zahlen dafür seit längerem negative Zinsen. Im Juni 2014 hatte der EZB-Rat beschlossen, den Zinssatz der »Einlagefazilität« von 0 auf minus 0,1 Prozent zu senken. Damit befand sich zum ersten Mal ein Leitzinssatz des Eurosystems im negativen Bereich. In den folgenden Jahren wurde der Zinssatz schrittweise bis auf minus 0,5 Prozent gesenkt.

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Banken und Sparkassen reichen die negativen Zinsen, die sie an die EZB zahlen müssen, an Unternehmen und mittlerweile auch an Privatkunden weiter. Schon mehr als jedes fünfte Kreditinstitut bittet private Sparer zur Kasse. Ostdeutsche Banken langen besonders häufig zu, meint das Vergleichsportal Verivox, das für die »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« die Preisverzeichnisse von Banken und Sparkassen auswertete. Im Osten berechnet fast jedes zweite Institut, rund 45 Prozent, ein sogenanntes Verwahrentgelt.

Allerdings trifft die Zinspolitik der EZB die Kreditinstitute in Ostdeutschland auch besonders hart. »Viele Geldhäuser der Region haben hohe Einlagenüberschüsse«, erklärt Oliver Maier, Geschäftsführer von Verivox. »Das bedeutet, sie verwahren deutlich mehr Spargelder als sie auf der anderen Seite in Form von Krediten an ihre Kunden ausgeben können.«

Allerdings muss jedes Institut mit anderen Rahmenbedingungen vor Ort klarkommen. Das gilt im Osten wie im Westen. Ohnehin wird nicht jeder Kunden zur Kasse gebeten. Von den insgesamt 709 Instituten in der Verivox-Auswertung berechnen 149 Privatkunden Negativzinsen, aber nur unter bestimmten Voraussetzungen. Lange Zeit wurden ausschließlich hohe Guthaben ab 100 000 Euro bestraft. Doch diese Bastion ist gefallen. Viele Institute kassieren schon bei deutlich kleineren Summen Verwahrentgelte, fünf sogar ab dem ersten Euro. In bestehenden Verträgen können Banken allerdings Negativzinsen nicht einseitig einführen. Deshalb sind zunächst nur Neukunden betroffen.

Will eine Bank auch ihren Bestandskunden Negativzinsen berechnen, muss sie dies mit den Betroffenen individuell vereinbaren. »Wir empfehlen dem Kunden, eine solche Vereinbarung nicht zu unterschreiben«, erklärt Erk Schaarschmidt, Finanzexperte der Verbraucherzentrale Brandenburg gegenüber »nd«. »Kündigt daraufhin die Bank das betreffende Konto, kann der Kunde sich immer noch eine neue Bank suchen.« Typischerweise droht eine Doppelbepreisung: Neben Negativzinsen werden außerdem noch Kontoführungsgebühren berechnet. Verbraucherschützer Schaarschmidt verweist zudem auf die teilweise extrem hohen Dispozinsen, die Banken bei Kontenüberziehungen kassieren.

Die Verbraucherzentrale Sachsen klagt bereits in einem konkreten Fall vor dem Landgericht Leipzig. Die Sparkasse Vogtland wollte auf Privatgirokonten bereits ab 5000 Euro ein Verwahrentgelt von 0,70 Prozent pro Jahr einführen. Mit einer Entscheidung des Gerichts wird noch in diesem Jahr gerechnet. »Interessant ist in diesem Zusammenhang die aktuelle Bundesbank-Analyse, nach der die Banken trotz EZB-Strafzinsen bislang nicht schlecht dastehen«, sagt Andrea Heyer, Finanzexpertin der Verbraucherzentrale, dem »nd«. Bis zum Beginn der Coronakrise hatten Banken und Sparkassen lange von der guten konjunkturellen Entwicklung profitiert. Diese führte zu einer »lebhaften« Kreditnachfrage und niedriger Risikovorsorge, schreibt die Bundesbank in ihrem aktuellen Monatsbericht. Die Bankenprofitabilität hätte daher bislang nicht gelitten.

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