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Multimillionäre besitzen halb Berlin
Nur wenigen Tausend Eigentümern gehört fast die Hälfte aller Berliner Mietwohnungen
Fast die Hälfte Berlins gehört wenigen Tausend Multimillionär*innen, die bisher oft anonym bleiben. Rund 800 000 der etwa 1,75 Millionen vermieteten Wohnungen in der Hauptstadt gehören großen Eigentümern. Zu diesem Schluss kommt Finanzexperte Christoph Trautvetter in seiner am Dienstag vorgelegten Studie »Wem gehört die Stadt?«. Für die linksparteinahe Rosa-Luxemburg-Stiftung hat er die Eigentümergruppen und ihre Geschäftspraktiken auf dem Berliner Immobilienmarkt analysiert.
Neben den bekannten großen privaten Eigentümern wie Deutsche Wohnen, Vonovia, der Adler Group oder Covivio gehören zu den renditeorientierten professionellen Hausbesitzern auch viele Anlagefonds oder sogenannte Family Offices, Vermögensverwaltungen superreicher Familien. Die verstecken sich oft hinter verschachtelten Firmenkonstrukten, jedes einzelne Haus ist als GmbH organisiert. Behörden und Mieter wissen oft nicht, wem die Immobilie eigentlich gehört. Hier hat Christoph Trautvetter in jahrelanger Recherche zusammen mit Mietern und Journalisten Licht ins Dunkel gebracht.
Der Marktwert der Berliner Wohnimmobilien betrug Ende 2018 sehr grob geschätzt rund 380 Milliarden Euro.
Die Angebotsmieten stiegen von 2010 bis 2019 deutschlandweit in Berlin am stärksten, inflationsbereinigt um 42 Prozent - und sehr viel stärker als die Einkommen (plus 4 Prozent).
Eine Untersuchung des Immobiliendienstleisters Savills aus dem Jahr 2019 identifizierte insgesamt 180 namentlich bekannte professionelle Eigentümer mit etwa 828 500 Mietwohnungen in Berlin. Im Projekt »Wem gehört die Stadt?« wurden bisher mehr als 200 solcher Eigentümer identifiziert und analysiert.
Um die Wohnungsfrage demokratisch zu beantworten, für evidenzbasierte politische Maßnahmen und nicht zuletzt für den Kampf gegen Missbrauch und organisierte Kriminalität braucht es mehr Transparenz und sehr viel bessere Informationen, heißt es in der Studie. Ein Gebäude- und Wohnungsregister beziehungsweise Mietenkataster mit Eigentümerinformationen könnte hier Abhilfe schaffen, ist Autor Christoph Trautvetter überzeugt. nic
Zu den weniger bekannten Eigentümern gehört die Familienstiftung Becker & Kries. Sie verwaltet rund 3600 Wohneinheiten schwerpunktmäßig in Berlin und Umgebung sowie einen umfangreichen Gewerbeimmobilienbesitz. Die Kommanditgesellschaft hat sich steuersparend in Zossen niedergelassen. Dort werden nur sieben Prozent Gewerbesteuer statt den 14,35 Prozent in der Hauptstadt fällig. Anstatt der Erbschaftssteuer zahlt sie alle 30 Jahre eine sogenannte Erbersatzsteuer. Mit rund 3000 Wohnungen in Berlin käme das Unternehmen sogar ins Visier von »Deutsche Wohnen & Co enteignen«. Ziel des Volksbegehrens, für das die Unterschriftensammlung im nächsten Frühjahr starten soll, ist bekanntlich die Sozialisierung großer renditeorientierter Wohnungsunternehmen.
Deutlich auffälliger im Berliner Stadtbild sind die kunterbunten Häuser des Unternehmens Harry Gerlach mit über 1000 Wohnungen. Im Januar dieses Jahres übernahmen die Töchter des Selfmade-Unternehmers die Geschäftsführung. Das Immobilienvermögen wurde 2019 wahrscheinlich steuerfrei an die nächste Generation übertragen, »wegen einer fragwürdigen Ausnahme im Erbschafts- und Schenkungsteuergesetz und dessen Auslegung durch die Finanzverwaltung«, heißt es in der Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung. »Das Beispiel zeigt, dass wir vor allem eine Erbschaftsbesteuerung ohne Schlupflöcher benötigen, um die Anhäufung riesigen Eigentums über Generationen auszuschließen«, sagt Christoph Trautvetter zu »nd«.
Dieses und weitere Beispiele kleinerer Immobilieneigentümer unter den Großen ist für Trautvetter auch Anlass, über die Kriterien für die Sozialisierungsreife von Unternehmen, wie sie im Volksbegehren formuliert sind, nachzudenken. Zum einen bei dem Punkt, ob diese erst bei über 3000 Wohnungen pro Unternehmen gegeben ist. Zum anderen ist die Firma Wohnbau GmbH mit demnächst 2998 Wohnungen in der Hauptstadt ein Beispiel für die Fallstricke bei der Gemeinwohlorientierung. Denn es arbeitet profitorientiert, gehört aber der gemeinnützigen Stiftung Wohnhilfe. Ähnlich sieht es bei kirchlichen Wohnungsunternehmen aus.
Trautvetter, der einst in der Unternehmensberatung KPMG lernte, mit welchen Tricks Steuerzahlungen und Regulierungen umgangen werden können, hat noch weitere Eigentümer von Beständen zwischen 3000 und 10 000 Wohnungen in Berlin identifiziert. Neben Blackstone gehören dazu noch die Fonds der IMW Immobilien SE, UniImmo: Wohnen ZBI, die durch die Räumung des Kneipenkollektivs »Syndikat« in der Neuköllner Weisestraße bekannt gewordene Pears-Gruppe sowie der skandinavische Wohnungskonzern Heimstaden, wenn der aktuell in der Vorkaufsrechtsprüfung befindliche Kauf des Pakets von rund 3900 Wohnungen größtenteils gelingen sollte.
Ein interessanter Fall sind wiederum die beiden Luxemburger Firmen Victoria Immo Properties Sàrl sowie Albert Immo Holding Sàrl. Erstere ist vor allem durch den Kauf des Geschäftshauses in der Kreuzberger Oranienstraße 25 durch Verdrängung ins Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit gerückt. Die Buchhandlung Kisch & Co hat bereits keinen gültigen Mietvertrag mehr, vor einem Monat ist die Räumungsklage eingegangen. Anderen Gewerbemietern droht eine Verdreifachung der Miete auf bis zu 38 Euro pro Quadratmeter. Die Victoria Immo gehört »mit hoher Wahrscheinlichkeit« den milliardenschweren Erben von Hans Rausing, Gründer des Getränkeverpackungskonzerns Tetrapak, wie Trautvetter im April »nd« verriet. Er macht das an den drei identischen Liechtensteiner Anwälten fest, die als Treuhänder sowohl für den Agrokonzern Ingleby Farms & Forests einer der Rausing-Erbinnen tätig sind als auch für die Victoria Immo. »Mein Verständnis von Family Offices aus der Praxis ist folgendes: Es gibt einen Anwalt, der persönlich für die Familie tätig ist. Eine Kombination aus drei gleichen Anwälten in anderen Zusammenhängen gibt es wahrscheinlich nicht«, erklärte Trautvetter im April. Nun zeigt sich: Die drei Liechtensteiner Anwälte sind auch Treuhänder der Albert Immo. Somit dürfte der gemeinsame Wohnungsbesitz auch irgendwo zwischen 3000 und 10 000 Einheiten liegen - ein weiterer Fall für »Deutsche Wohnen & Co enteignen«.
Trautvetter erklärt in der Studie auch, warum Berlin ins Visier des Finanzkapitals geraten ist: »Mit dem weitgehend risikofreien Kauf eines Wohnhauses in guter Innenstadtlage in einer der gefragtesten und politisch stabilsten Metropolen der Welt konnten in den letzten zehn Jahren Renditen von teilweise mehr als 20 Prozent pro Jahr erzielt werden.« Spitzenreiter war demnach in Berlin der Wohnungskonzern Akelius mit 23,2 Prozent Rendite.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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