Teuer erkaufter Kündigungsschutz

Nach monatelangen Verhandlungen gibt es zwischen Verdi und dem Lufthansakonzern eine Einigung

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 4 Min.

Schmerzhafte Einkommensverluste für rund 35 000 Beschäftigte am Boden sind der Kern einer Krisenvereinbarung zwischen der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und dem Vorstand des angeschlagenen Lufthansa-Konzerns. Das Verhandlungsergebnis wurde in der gewerkschaftlichen Konzerntarifkommission von einer Mehrheit angenommen. Wie eine Verdi-Sprecherin dieser Zeitung auf Nachfrage bestätigte, hatten sich die Unterhändler beider Seiten bereits am Dienstag auf ein umfangreiches Papier geeinigt. Es wird allerdings erst wirksam, wenn sich bei der anstehenden schriftlichen Befragung der Verdi-Mitglieder in den betroffenen Tochterunternehmen des Lufthansa-Konzerns eine Mehrheit für die Annahme ausspricht.

Das vereinbarte Paket hat eine relativ kurze Laufzeit bis zum 31. Dezember 2021. Es schließt für die betroffenen Beschäftigten betriebsbedingte Beendigungskündigungen in diesem Zeitraum aus und beinhaltet einen faktischen Schutz vor Entlassungen bis zum 31. März 2022. Der Preis dafür ist sehr hoch und wird von Verdi auf 200 Millionen Euro beziffert, die die Beschäftigten dem Konzern als faktisches Lohnopfer nun in die Kasse spülen sollen. Im Detail verzichtet die Gewerkschaft im laufenden und kommenden Jahr auf jegliche Einkommenserhöhung und setzt die entsprechenden Vergütungsrunden aus. Auch wurde die Streichung des Weihnachtsgeldes für 2020 und 2021 sowie die Streichung des Urlaubsgeldes für 2021 vereinbart.

Für viele Beschäftigte, die das Ende November mit der Lohnüberweisung fällige Weihnachtsgeld schon längst fest eingeplant hatten, dürfte dies in den vorweihnachtlichen Wochen ein schwerer Schlag sein. »Falls keine Zustimmung bei der Mitgliederbefragung erfolgt, wird das Weihnachtsgeld 2020 im Dezember ausgezahlt«, heißt es in einem Mitgliederinfoblatt der Tarifkommission. Wie die Masse der Mitglieder dies bewertet, bleibt abzuwarten. Die Aufstockung zum Kurzarbeitergeld, von dem derzeit sehr viele Lufthansa-Beschäftigte leben, wird von 90 Prozent auf 87 Prozent abgesenkt. Damit wurde laut Verdi allerdings auch der tarifliche Schutz zur Aufstockung des Kurzarbeitergeldes für rund 6000 Beschäftigte im Konzern ausgeweitet, denen wegen schlechterer Regelungen zuvor der Rückfall auf den niedrigeren gesetzlichen Satz drohte.

Für Beschäftigte, die 2021 zu 100 Prozent in Kurzarbeit sind, wird zudem der Urlaubsanspruch auf das gesetzliche Maß von 20 Tagen verringert. Dass damit erstmals faktisch auch der tarifliche Jahresurlaub angetastet wird, könnte beim Lufthansa-Management über die Laufzeit des Vertrags hinaus neue Begehrlichkeiten wecken und auch auf andere Branchen ausstrahlen. Weitere Punkte im vereinbarten Paket sehen fortgesetzte Altersteilzeitregelungen für rentennahe Jahrgänge sowie Programme für ein »freiwilliges Ausscheiden« und »sozialverträglichen Personalabbau« vor. »Jetzt muss die Lufthansa mit diesem Kredit der Beschäftigten verantwortungsvoll umgehen«, erklärte Verdi-Vizechefin Christine Behle, die auch als stellvertretende Lufthansa-Aufsichtsratsvorsitzende fungiert. Streng genommen sind die Lohnopfer kein rückzahlbarer zinsloser Kredit der Beschäftigten an die Konzernzentrale, sondern ein unter massivem Druck und nach dem Motto »Friss oder Stirb« erzwungenes Zugeständnis.

Ob der Lohnverzicht von den Konzernchefs tatsächlich honoriert wird, bleibt abzuwarten. Der aktuell mit Verdi vereinbarte Kündigungsschutz ist nach Einschätzung von Insidern »wasserdichter« als die Bestimmungen, die im Juli zwischen der Flugbegleitergewerkschaft UFO und der Lufthansa abgeschlossen wurden und schon 2021 vorzeitig außer Kraft geraten könnten. In den nächsten Monaten wird sich zeigen, ob das Management den Verzicht auf betriebsbedingte Beendigungskündigungen im Vertrag mit Verdi ernst nimmt. Oder ob es sich beim massiven Personalabbau nicht etwa auf betriebsbedingte Änderungskündigungen besinnt, um Beschäftigte unter Druck zu setzen und ihnen eine Eigenkündigung nahezulegen. Nach jüngsten Meldungen und angesichts des anhaltenden Einbruchs im Luftverkehr schließen Insider eine Insolvenz des Konzerns im kommenden Jahr auch nicht gänzlich aus.

Der Großaktionär Heinz-Hermann Thiele, der im Sommer durch Aktienerwerb seinen Einfluss auf die Unternehmenspolitik stark vergrößert hatte, pocht nach Medienberichten auf einen Abbau von 30 000 Arbeitsplätzen und den kompletten oder teilweisen Verkauf der Lufthansa-Techniksparte. Unterdessen verzögert sich der, unter Protest vieler Betroffener eingefädelte und für Anfang 2020 vorgesehene Verkauf der für die Bordverpflegung zuständigen Konzerntochter LSG Sky Chefs (LSG) an die Gategroup aus Singapur weiter. Die LSG-Belegschaft hatte jahrelang auf Geld und Urlaubstage verzichtet sowie ohne Ausgleich länger gearbeitet. Die Hoffnung, damit in der »Lufthansa-Familie« bleiben zu können, ging nicht auf.

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