Dramatische Einbrüche beim Lebensstandard

Millionen Italiener sind durch die Auswirkungen der Coronakrise in materielle und soziale Notlagen geraten. Die Reichen bleiben reich

  • Anna Maldini, Rom
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Pandemie verschärft die sozialen Ungleichheiten. Das ergibt sich aus dem jüngsten Bericht des italienischen Sozial- und Wirtschaftsforschungsinstituts Censis, der jetzt im Parlament vorgestellt wurde.

Fünf Millionen Italienern gelingt es heute nicht, jeden Tag ein vollwertiges Essen auf den Tisch zu bringen - das sind 600 000 mehr als vor der Pandemie. Das ist zum Teil auf die Tatsache zurückzuführen, dass für viele Kinder und Jugendliche das tägliche warme Essen in den Schuleinrichtungen weggefallen ist, aber auch auf die geringeren Einkommen der Familien selbst. So besagt der Bericht, dass 7,6 Millionen Familien eine »ernsthafte Verschlechterung« ihres Lebensstandards zu verzeichnen haben. Die finanziell Schwächeren sind von dieser Entwicklung am meisten betroffen: Im Dezember vergangenen Jahres verfügten die ärmsten Familien noch über ein monatliches Einkommen von 900 Euro - heute haben sie im Monat gerade mal 600 Euro zur Verfügung.

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Aber auch für die »normalen« Familien hat sich die Lebensqualität verschlechtert: »Für 23,2 Millionen Italiener ist das Familieneinkommen geringer geworden, und für viele von ihnen stellt das ein ernsthaftes Problem dar«, heißt es im Censis-Bericht. Das führte dazu, dass sich etwa 9 Millionen Menschen bei Verwandten oder auch bei den Banken Geld leihen mussten, um über die Runden zu kommen. 53 Prozent der Personen mit geringerem Einkommen befürchten, dass sie in der nächsten Zeit gar kein Geld mehr haben könnten, und 42 Prozent aller Italiener sind der Ansicht, dass ihre Arbeit nicht mehr sicher ist. Die Verunsicherung ist das Hauptmerkmal der italienischen Gesellschaft geworden, wird hervorgehoben.

Auch innerhalb der einzelnen sozialen Schichten sind die Lasten nicht gleich verteilt. Die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie haben in erster Linie die Frauen getroffen. In den vergangenen Monaten ist die Anzahl der beschäftigten Frauen um 2,2 Prozent gesunken, während es bei den Männern »nur« 1,3 Prozent sind. Außerdem beklagt über die Hälfte der Frauen, dass ihre Arbeit »anstrengender und stressiger« geworden sei - bei den Männern sind es 39,1 Prozent.

Die Untersuchungen von Censis haben weiter ergeben, dass sich durch die Pandemie auch die Wertvorstellungen der italienischen Bevölkerung verändert haben: 65 Prozent der Befragten sind der Ansicht, dass heute die »soziale Nachhaltigkeit« wichtiger als der Umweltschutz sei. Über 75 Prozent sind sogar davon überzeugt, dass die Umweltmaßnahmen der vergangenen Jahre vor allem zulasten der ärmeren Bevölkerungsschichten gegangen seien. Das beträfe in erster Linie die Verordnung, ältere und »dreckige« Fahrzeuge zu verschrotten, aber auch die Steuererhöhungen für weniger umweltverträgliche Heizungsanlagen.

Eine weitere Studie belegt, dass das Vermögen der reichsten 1,5 Millionen Italiener in den vergangenen zwei Jahren um 5,2 Prozentpunkte angestiegen ist. 70 Prozent des nationalen Reichtums liegen bei 20 Prozent der Bevölkerung. Auch das führt wohl dazu, dass für über ein Viertel der Befragten »Reichtum ein Diebstahl« ist. Weniger als die Hälfte meint, dass Reichtum, egal, in wessen Händen er liegt, für das gesamte Land von Vorteil sei.

Angesichts dieser Zahlen hat die Partei Rifondazione Comunista einen Katalog mit Forderungen aufgestellt, der unter anderem die Ausweitung der Sozialtransfers vorsieht, aber auch einen Kündigungsstopp für das gesamte kommende Jahr und die Aufstockung des Kurzarbeitergeldes. Schließlich fordert die linke Partei eine Vermögenssteuer für Beträge über einer Million Euro.

Letztere Forderung hat die Regierung von Giuseppe Conte jedoch bereits ohne Wenn und Aber abgelehnt. Und tatsächlich befürchten oder erwarten auch nur 17 Prozent der befragten Italiener, dass demnächst Vermögen stärker besteuert werden, um besser durch die Pandemie zu kommen und die Folgeschäden besser auszugleichen.

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