Lenz und Leip neu beurteilt

Hamburg lässt Straßennamen auf »NS-Belastung« überprüfen

  • Volker Stahl, Hamburg
  • Lesedauer: 3 Min.

Mit einem Platz am Hauptbahnhof und einer Bronzestatue wird in Hamburg seit 2011 Heidi Kabel geehrt. Sie war die Galionsfigur des plattdeutschen Ohnsorg-Theaters, das in den 60er-Jahren über die Stadtgrenzen hinaus bekannt wurde, als seine Stücke in hochdeutscher Fassung im Fernsehen übertragen wurden. Damals, als allenthalben Nationalsozialisten noch in Amt und Würden waren, verkörperte die »Volksschauspielerin« jene biedere Spießigkeit, die nie für das verantwortlich ist, was sie anrichtet.

Heidi Kabel ist eine der 58 Personen, nach denen Straßen und Plätze in der Hansestadt benannt sind, die der Historiker David Templin von der Universität Osnabrück im Auftrag des Hamburger Staatsarchivs auf ihre Beziehungen zum Nationalsozialismus untersucht hat. Sie gehörte der NS-Frauenschaft an und überzeugte ihren Ehemann, der NSDAP beizutreten, aber »Aktivismus jenseits der formalen Mitgliedschaft ist ihr nicht nachweisbar«, schreibt Templin in seinem im November 2017 vorgelegten Bericht.

Anhand von Templins Untersuchungen soll seit September eine von der Behörde für Kultur und Medien eingesetzte achtköpfige Historikerkommission »einheitliche Entscheidungskriterien für den Umgang mit NS-belasteten Straßennamen entwickeln und gegebenenfalls Empfehlungen zu möglichen Umbenennungen aussprechen«. Die Zugehörigkeit zur NSDAP galt seit 1985 als einziges Merkmal, dass jemand nicht durch ein Straßenschild ausgezeichnet werden kann. Das beträfe den Schriftsteller Siegfried Lenz, der nach seinem Tod 2014 für eine solche Würdigung ins Gespräch gebracht wurde.

Bei diesem absoluten Ausschlusskriterium müsse es nicht bleiben, heißt es aus dem Umfeld der Historikerkommission. Die Fragen, die sich bei der Einschätzung eines Lebenslaufs stellen, seien vielmehr »sehr komplex«. Neben den eindeutigen gäbe es eine Vielzahl »ambivalenter Fälle«. Im Sinne der Erinnerungskultur könne es angezeigt sein, einen Namen nicht einfach zu tilgen, sondern die Bezeichnung durch ein ergänzendes Schild zu erläutern.

Die meisten der Geehrten, die auf dem Prüfstand stehen, sind vergessen und allein noch als Namenspatron einer Straße präsent. Dass die Bergiusstraße an den Träger des Nobelpreises für Chemie von 1931 gemahnt, dürfte nur wenigen geläufig sein. Friedrich Bergius bekannte sich ausdrücklich zum NS-Regime und bespitzelte im Zweiten Weltkrieg für das Reichssicherheitshauptamt der SS ausländische Wissenschaftler.

»Am Internationalen Seegerichtshof« heißt seit 1996 ein Abschnitt der ursprünglich Georg Bonne zugeeigneten Straße. Als die Ansiedlung der Institution anstand, kamen Zweifel an dem Arzt und Schriftsteller auf. Seit 1997 erinnert ein Teil der Straße bereits an den dänischen Architekten Christian F. Hansen. Für Bonne »war der Antisemitismus ein zentraler Pfeiler seines Weltbildes«, stellt der Templin-Bericht fest; er pflegte einen »ausgeprägten Führerkult«. Im Juli beschloss die zuständige Bezirksversammlung in Altona, dem Verfechter einer »Rassenhygiene« auch den Rest der Straße abzuerkennen.

Eine Promenade an der Elbe ist nach dem Autor Hans Leip benannt. Dessen bekanntestes Werk ist der Text zum Welthit »Lili Marleen«. »Anpassung, schriftstellerische Dienstleistungen für NS-Stellen und vereinzelte positive NS-Bezüge gingen einher mit dem Bemühen um eine gewisse (innere) Distanz«, befindet der Templin-Bericht über ihn. Am Hans-Leip-Ufer liegt der Hindenburgpark. Der Generalfeldmarschall und Politiker Paul von Hindenburg verhalf den Nationalsozialisten zur Macht, indem er als Reichspräsident im Januar 1933 Hitler zum Reichskanzler ernannte.

Ein Drittel der Hamburger Verkehrsflächen tragen Personennamen. Die 58, deren NS-Belastung nun infrage steht, sind nach Angabe aus dem Umfeld der Historikerkommission nur »ein Ausschnitt« derer, die neu zu beurteilen wären.

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