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Morden und beschuldigen

Gewaltsamer Tod des iranischen Wissenschaftlers Mohsen Fakhrizadeh verschärft Krise im Nahen Osten

  • Philip Malzahn
  • Lesedauer: 4 Min.

Wieder einmal wächst die Gefahr eines Krieges im Nahen Osten: Am frühen Abend des 27. November, unweit der iranischen Hauptstadt Teheran, wurde der iranische Atomwissenschaftler und Raketenexperte Mohsen Fakhrizadeh von mehreren Angreifern auf einer Landstraße getötet. Seine Leibwächter lieferten sich im Zuge des Angriffs ein Feuergefecht mit den Angreifern, bei dem laut Regierungsangaben auch mehrere getötet wurden. Über den Kernphysiker Mohsen Fakhrizadeh selbst kursierten in den vergangenen Jahren meist mehr Vermutungen als Fakten.

Der Weltöffentlichkeit ist der Professor der Imam-Hossein-Universität in Teheran, der zum Zeitpunkt seiner Ermordung 53 Jahre alt war, kaum bekannt. Doch sicher ist: Er war mehr als nur Akademiker, sondern auch ein General der Revolutionsgarden, der circa 190 000 Soldaten umfassenden Eliteeinheit des Irans, sowie Leiter der Forschungsabteilung im Verteidigungsministerium. Laut Dokumenten, die der israelische Auslandsgeheimdienst Mossad im Jahr 2018 aus einer Lagerhalle in Teheran erbeuten konnte, war er verantwortlich für das Projekt Amad. Unter diesem Namen lief das angebliche Vorhaben Irans, einen atomaren Sprengkopf zu entwickeln. Es wurde laut der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA zwar 2003 gestoppt, israelischen Angaben zufolge hat der Iran jedoch nie aufgehört, einsatzfähige Atomwaffen anzustreben. Auch Mohsen Fakhrizadeh soll dabei weiterhin eine zentrale Rolle gespielt haben.

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Teheran beharrt bis heute, sein Atomprogramm sei rein ziviler Natur. Bezüglich des Anschlags will man sich sicher sein: Israel ist verantwortlich. Und obwohl die Regierung in Teheran behauptet, dafür Beweise zu haben, bislang jedoch keine präsentierte, ist es nicht unmöglich. Fakhrizadeh ist schon seit Jahren im Visier des israelischen Geheimdienstes. Die übliche Praxis, solche Angriffe weder zu bestätigen noch zu dementieren, beflügelt auch Gerüchte um eine mögliche Beteiligung an dem gewaltsamen Tod des 53-Jährigen. Zudem ist er nicht der erste iranische Wissenschaftler, der einem solchen Anschlag zum Opfer gefallen ist. 2011 etwa wurde der Physiker Dariusch Resai in Teheran erschossen.

Präsident Hassan Ruhani reagierte im Staatsfernsehen am Samstag hart auf die Ermordung des Wissenschaftlers: »Wieder einmal wurden die bösen Hände der globalen Arroganz mit dem Blut des zionistischen Söldner-Usurpator-Regimes befleckt.« Und während solche brachialen Worte aus Teheran nichts Neues sind, wächst die Angst davor, der Iran könnte durch sein Militär eine »gewaltige und konsequente Reaktion« auf Fakhrizadehs Tod ausüben, wie man direkt nach dem Anschlag androhte.

In den vergangenen Jahren hat sich der Iran stets davor zurückgehalten, einen direkten Krieg als Reaktion auf solche Attentate anzuzetteln - erst im Januar war der Kommandeur der zu den Revolutionsgarden gehörenden Quds-Brigaden, Qassem Soleimani, von einer US-Drohne getötet worden. Das liegt nicht zuletzt daran, dass man einen solchen Krieg höchstwahrscheinlich verlieren würde. Nicht nur ist man gegen Israel und seine Bündnispartner - allen voran den USA - militärisch deutlich unterlegen. Auch der Zeitpunkt ist kritisch.

Die iranische Wirtschaft ist am Boden. Misswirtschaft, Korruption, aber auch die nach dem Ausstieg der USA aus dem gemeinsam Atomabkommen im Juni 2018 implementierten Sanktionen haben die Wirtschaft an den Rand des Kollaps gebracht. Mehrere Protestwellen haben das Land in den vergangenen zwei Jahren in den Ausnahmezustand versetzt. Grund war jedoch nicht nur die Politik Israels oder der USA, sondern vor allem die der eigenen Regierung. Die Demonstranten werfen ihr vor, auf Kosten der Bevölkerung einen Kurs der Eskalation zu fahren. Denn trotz hoher Inflation und Arbeitslosigkeit werden Militär und Revolutionsgarden sowie pro-iranische Organisationen wie die Hisbollah weiter mit Milliardensummen finanziert. Die Bereitschaft der iranischen Bevölkerung, einen potenziellen Krieg mit all seinen Folgen auszusitzen, ist kaum vorhanden.

Auch in Teheran ist man sich bewusst, dass, sowohl für das eigene Land wie für die gesamte Region, eine Wiederaufnahme des Atomabkommens und ein Ende der Sanktionen profitabler wären. Angesichts der Wahl des Demokraten Joe Biden in den USA zum neuen Präsidenten ist das nun wieder eine realistische Möglichkeit - und eine direkte militärische Antwort auf die Tötung Fakhrizadehs würde das gefährden. Nicht zuletzt deshalb ruderte auch Ruhani nach seiner Kampfansage etwas zurück, indem er betonte, man sei klüger als in die Falle des zionistischen Regimes (Israel) zu tappen. »Der Iran wird sicherlich zum richtigen Zeitpunkt auf das Martyrium unseres Wissenschaftlers reagieren.«

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