Werbung

Der Dichter und sein Herzog

Die Germanistin und Schriftstellerin Sigrid Damm wird achtzig - und schenkt uns ein Buch über Goethe und Carl August

  • Klaus Bellin
  • Lesedauer: 6 Min.

Nach zehn Jahren war alle Zuversicht aufgebraucht. »Regieren!!«, hatte Goethe 1777 in sein Tagebuch geschrieben und den Vorsatz mit emphatischen Ausrufezeichen bekräftigt, aber das war lange, sehr lange her. Damals hatte er noch sehen wollen, wie ihm in Weimar die »Weltrolle« zu Gesicht stünde, und er hatte sich auch gleich mit Begeisterung der Landesgeschicke angenommen, doch von all dem Elan war nichts geblieben. Nun, 1786, der Amtslasten unendlich müde, mit seinen Reformplänen an der Realität gescheitert, als Autor außerhalb Weimars kaum noch sichtbar, begrub er an einem Septembermorgen desillusioniert die enttäuschten Hoffnungen, indem er sich heimlich davonstahl und, getrieben von der Verzweiflung, wie er im Alter gestand, nach Italien aufbrach. Schon Monate zuvor hatte er erklärt: »Denn ich sage immer, wer sich mit der Administration abgiebt, ohne regierender Herr zu seyn, der muß entweder ein Philister oder ein Schelm oder ein Narr seyn.«

Goethe, ohne Abschied und Urlaub unterwegs, schickte ins Weimarer Fürstenhaus nun Brief um Brief, aber sein Dienstherr, wie alle anderen in seine Pläne nicht eingeweiht, schwieg. Über Monate keine Nachricht, die Freundschaft auf eine ernsthafte Probe gestellt. Es war nicht die erste Krise und würde auch nicht die letzte bleiben. Man weiß es aus den (zahlreichen) Goethe- und den (wenigen) Carl-August-Biografien sowie der einzigen literarhistorischen Studie - »Das Genie und sein Fürst« von Friedrich Sengle -, die sich ganz auf das Verhältnis beider Männer konzentriert.

Jetzt kommt ein Buch dazu, das den Höhen und Tiefen dieser Beziehung zum ersten Mal in einer großen, klug komponierten und dichten Erzählung nachgeht, packend und reich an erhellenden Momenten. Sigrid Damm, die Weimars klassischer Epoche in den letzten Jahrzehnten so viel Anschauung und Farbe verschafft hat wie kaum jemand sonst, führt diesmal ins Jahr 1828, als Weimars Großherzog zu einer Reise nach Berlin aufbricht, von der er nicht zurückkehren wird. Die Nachricht von seinem plötzlichen Tod erreicht den beinahe 79-jährigen Goethe an einem Junitag in heiterer Stimmung. Er hat Besucher im Haus, kann die Bestürzung im Tagebuch noch kaschieren, doch der Schock ist so mächtig, dass es ihn noch vor den Trauerfeierlichkeiten für Monate nach Dornburg treibt.

Eingebettet in die letzte Reise Carl Augusts und Goethes Tage im südlichen Schloss über der Saale, folgt Sigrid Damm der Geschichte der ungleichen Freunde. Der Herzog am Anfang ein 18-Jähriger, der den berühmten, acht Jahre älteren »Werther«-Autor nach Weimar holt und gegen alle Widerstände in die Regierungsgeschäfte einspannt, ein übermütiger, ungestümer, burschikoser Regent, der lernen muss, dass mit Parforceritten und Peitschenknall nichts zu gewinnen ist, der Goethe die dringend notwendigen Veränderungen überlässt, dabei sogar schluckt, dass der Freund ihm das Militär um die Hälfte reduziert, und der es schafft, dem tristen Weimar die Bedeutungslosigkeit zu nehmen. »Der Großherzog«, erklärte Goethe 1828 euphorisch, »war freilich ein geborener großer Mensch, womit alles gesagt und alles getan ist.«

Natürlich sind sie sich privat, aber auch politisch immer wieder in die Quere gekommen. Carl August, zum Beispiel, hat Christiane, die Frau von niederem Stand an Goethes Seite, nie akzeptiert und den Freund wegen seiner wilden Ehe sogar aus dem Haus am Frauenplan geworfen (das er ihm später schenkte). Natürlich musste Goethe an seiner Seite in den Krieg gegen das französische Revolutionsheer ziehen, und dass er schließlich die Theaterintendanz aufgab, war auch nicht Ergebnis eigener Entscheidung. Andererseits erwies sich der Herzog als liberaler Geist, der für Pressefreiheit plädierte, ganz anders als Goethe, der von »Preßfrechheit« sprach. Er nahm die Burschenschaften in Schutz, die Goethe ablehnte, stand an der Seite Preußens gegen die französische Fremdherrschaft, indes Goethe der Napoleon-Bewunderer blieb und verhinderte, dass Sohn August sich den Kämpfern gegen die Franzosen anschloss. All das, die Disharmonien, politischen Vorbehalte und Gegensätze, die Reibereien, Verstörungen, Konflikte und Verletzungen, die »innigste Seelenverbindung«, von der Goethe sprach, und das respektvolle Miteinander, beschreibt Sigrid Damm mit imponierender Detailkenntnis, durchweg gestützt auf die überlieferten Zeugnisse.

Über die Prinzipien ihrer Arbeit hat sie sich in Reden und Aufsätzen mehrmals geäußert, vor fast 20 Jahren auch im Buch. Damals verbrachte sie, als 60-Jährige, wieder einige Zeit in Lappland, wo sie die Einsamkeit und Ruhe der Landschaft genoss und nun auf langen Fußmärschen durch eine fremde und verführerische Welt auch sich selber suchte. Hier, im hohen Norden, schrieb sie nach Büchern über den Dichter Lenz und Cornelia, Goethes Schwester, eins über Christiane und Goethe, wieder einmal konfrontiert mit der »Ungestalt der Materialmasse«, all den Fundstücken aus Archiven und Bibliotheken, die sich zu einem Bild fügen sollten. Später publizierte sie einen poetischen, mit Collagen ihres Künstlersohnes Hamster Damm geschmückten Bericht über jene Tage, den der Insel-Verlag, diesmal im schlichten Pappband, zum 80. Geburtstag, den Sigrid Damm heute feiert, nun nochmals aufgelegt hat. Von all ihren Büchern ist dies das persönlichste, aufschlussreich nicht zuletzt, weil es auch auf die intensiven, zeitraubenden Recherchen eingeht, die den Schreibmonaten in der »Dunkelkammer«, »einer Art von Gefangenschaft«, vorangehen.

Von Beginn an dominierte der Wunsch, nur das zu erzählen, was sich belegen ließ, die weißen Flecken eines Lebens nicht auszumalen. Peter Härtlings Bekenntnis »Ich erfinde Gestalten, die es gegeben hat« aus dem Anfangskapitel seines Hölderlin-Buches war für Damm nie ein gangbarer Weg. Sicher, im Lenz- und danach im Cornelia-Buch gibt es noch Passagen, die zuweilen sehr behutsam zur Sprache bringen, was letztlich nicht bewiesen werden kann. Aber als sie sich dann an ihre große (und erfolgreichste) Erzählung über Christiane und Goethe setzte, war schon klar, dass sie die offenen Fragen als offene Fragen stehen lassen würde.

So ist es auch diesmal, im neuen Buch. Wieder besticht, neben der sicheren Verschmelzung von Gefundenem und Erzähltem, die sensible, von den Dokumenten beglaubigte Sicht auf die Personen der Geschichte. Carl August war stolz, dass er es geschafft hatte, Goethe dauerhaft an sein Herzogtum zu binden. Er rühmte dessen »treueste Anhänglichkeit und Freundschaft«, zeigte menschliche Größe und Generosität, indem er dem Gefährten mit zwei Häusern, mit Gehaltserhöhungen und Reisezuschüssen die Existenz sicherte. In den Briefen nannte er ihn gern »Alter«, »lieber Alter« oder »lieber Getreuer«. Und unterschrieb meist schlicht mit »CA« - während Goethe, mit den Jahren immer förmlicher, seine Briefe mit den Worten endete: »Zu Gunst und Gnade mich empfehlend unterthänigst J. W. v. Goethe«.

Freilich: Bei aller Sympathie und Vertrautheit blieb er, wen wundert’s, der Fürst und Herr, dem es schon mal gefiel, Goethe zu beauftragen, Birnenkerne zu besorgen. Die Sache führte nach mehreren Tagen zur Auskunft des Dichters, die »Hauptbirnen-Ernte« sei nicht reichlich gewesen, »und was die Holzbirnen betrifft, so consumiren sie die Bauersleute selbst auf allerley Weise«. Möglich, meint Sigrid Damm, dass der Herzog Goethe auf die Probe stellen wollte, denn es gab wieder einmal erhebliche Spannungen zwischen beiden, aber der hat die seltsame Prüfung glänzend bestanden. Es gelang ihm, in Jena einige Säcke Birnen aufzutreiben, die er in sein Gartenhaus an der Ackerwand bringen ließ. Den Rest, aus den Birnen Kerne zu gewinnen »und wie ferner damit zu verfahren sey«, überließ er sodann aber den »Gartenverständigen« des Hofes. Und fügte süffisant hinzu, sein »eifrigster Wunsch« sei nunmehr, »daß Ew. Königliche Hoheit in vergnügten Stunden an diesem schon erwachsenen Zaune einhergehen, die dahinter liegenden eingehegten Räume wohlgeschützt finden und meiner dabey in Gnaden gedenken mögen«.

Sigrid Damm: Goethe und Carl August. Wechselfälle des Lebens. Insel Verlag, 320 S., geb., 24 €

Sigrid Damm: Wandern - ein stiller Rausch. Insel Verlag. 190 S., geb., 14 €

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal