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Eiserne Gemeinde

Ein Fotobuch für die Fans vom 1. FC Union Berlin

  • Karl van Worm
  • Lesedauer: 4 Min.

Man nimmt dieses Buch gerne in die Hand. Der feste Einband hat etwas Stabiles und Unverwüstliches. Auch die spezielle Heftung und das raue Papier sorgen dafür, dass sich das Buch gut anfühlt. Es erinnert entfernt an die englischen Fanzines aus den 1960er Jahren, an eine Copyshop-Ästhetik der Subkulturen. Man könnte auch sagen, das Buch bekommt dadurch etwas Unkonventionelles, Unverfälschtes und Authentisches. Es ist das genaue Gegenteil einer Hochglanzbeschwörung. Die Rede ist von dem Buch »WIR« des Berliner Fotografen Jan Hollants, gestaltet von Erik Lautenschläger. Es drängt sich auf, sich zuerst mit seiner äußeren Form zu beschäftigen. Auch bei dem Bundesligisten 1. FC Union Berlin - um den es in diesem Buch geht - ist es die Form, die in vielen Dingen den Unterschied macht. Viele der genannten Attribute würden die Unioner wahrscheinlich für sich und ihren Verein beanspruchen.

Neben viel Schwarz, was in der Masse dann doch irritiert, gibt es viele schöne Fotografien. Wie diese, die wahrscheinlich beste des Buchs: Man steht in einer Unterführung unter der S-Bahn und schaut hinaus ins Licht. Die genieteten Stahlträger erzählen von vergangenen industriellen Zeiten und haben etwas Schützendes, nichts Bedrohliches oder Verrostetes an sich. Eine Menschenmenge - die Fangemeinde - bewegt sich entspannt und einträchtig. Viele laufen mitten auf der Straße. Alle gehen in eine Richtung. Das Sonnenlicht beschwört das zugleich Zauberhaft-Feierliche und Banale eines Fußballsamstagnachmittags in der Vorstadt. Man meint das fühlen zu können, was die Menschen bewegt.

Fast alle Fotos in Hollants Buch sind Aufnahmen im Stadion. Viele konzentrierte, mitfiebernde, männliche und weibliche Union-Fans. Auffallend viele Kinder. Dazu elf Fotos, auf denen Spieler zu sehen sind. Zusammen erzählen die Fotos die Geschichte eines Stadionbesuchs, von vor dem Anpfiff bis nach dem Abpfiff. Auf ein fast nichtssagendes Bild des Stadioninnenraums folgen drei Fotografien von Männern, die auf den Anpfiff warten. Man spürt die Härte und Verschlossenheit der eingeschworenen Gemeinschaft, auch den Alltag des Fanseins. Das hat etwas beeindruckend Reales. Manche Fotos sind schwächer: Man weiß zum Beispiel nicht, wozu man sich ein großes Foto vom hochkonzentrierten Felix Kroos mit »Layenberger«-Aufschrift auf der Brust ansehen soll. Auch dass da der Maskottchen-Ritter die Keule schwingt, macht das Bild nicht interessanter.

Anders sieht es aus, wenn man das Buch zusammen mit einem eingefleischten Union-Kenner betrachtet: »Aah! Auf dem Foto hat Christian Arbeit noch lange Haare. Da hat er seine Wette noch nicht verloren. Und hier: Das ist Schneeweiß, Zeugwart, ein Urgestein. Der guckt immer so dödelig aus der Wäsche. Nein, viele Kinder sind nicht im Stadion. Die sehen eh nichts. Vorne am Zaun hängt normalerweise alles voll mit Bannern und Ultra-Zeugs. Gefühlt sind 95 Prozent der Zuschauer Männer.« Zurück zur Dunkelheit und zur Melancholie, die dieses überaus sorgsam gestaltete schwarz-weiß-Buch umflort: Ein zweiter Union-Fan, den ich zu Rate zog, berichtete mir, dass in jeder Halbzeitpause Namen von Verstorbenen und Botschaften ihrer Angehörigen verlesen werden. Ein berührendes Ritual!

So wie Union zweifelsfrei ein besonderer Verein ist, so ist auch Hollants ein besonderes Buch geglückt - eine Liebeserklärung an Union. Hollants scheut auch nicht davor zurück, der damit verbundenen Melancholie Ausdruck zu geben. Im Klappentext steht: »Dann will ich gar nichts mehr, eigentlich nur, dass hier alles so bleibt«. Nach Betrachten des Buchs wird klar, dass es auch um das Gefühl geht, dass sich eine geliebte und einzigartige Vereins- und Fankultur verändern wird.

Ingo Petz, der den interessantesten Text zu dem Band beigesteuert hat, bringt die Angelegenheit schön widersprüchlich auf den Punkt: »Ich würde nicht sagen, dass ich als sogenannter Zugezogener mit offenen Armen empfangen wurde. Aber im Großen und Ganzen haben mir die Unioner die Ankunft leicht gemacht.«

Jan Hollants: Wir. Bilder aus der alten Försterei. 104 S., geb., 20 €

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