Souveränitätsansprüche

Der 1. FC Union nötigt den Bayern ein Unentschieden und allerlei Anerkennung ab

Manchmal sind es die kleinen Dinge, die viel verraten. Hansi Flick ist ein angenehm zurückhaltender Akteur im so aufgeregten Profifußball. Mit dieser Ruhe - und seiner Qualität - führte er den FC Bayern innerhalb kürzester Zeit zurück an die europäische Spitze. Als der Münchner Trainer am Sonnabend im Spiel beim 1. FC Union in der 39. Minute Sheraldo Becker lautstark anging, war zu ahnen, dass irgendetwas anders ist. Der Berliner Flügelspieler hatte - nicht schön, aber absolut üblich in diesem Sport - auf Zeit gespielt, als er den Ball vor einem auszuführenden Einwurf ein, zwei Meter mit aufs Spielfeld nahm.

Als später, nach dem Abpfiff, vereinzelte Raketen in den dunklen Köpenicker Nachthimmel schossen, war es Gewissheit: Der Rekordmeister und Champions-League-Sieger ließ, wie ausnahmsweise auch sein Trainer, die gewohnte Souveränität vermissen. Der Ur-Bayer Thomas Müller, der unter Flick eine wunderbare Renaissance erlebt, attestierte nach dem 1:1: »Aufgrund der ersten Halbzeit ist der Punkt für Union verdient.«

Über die Punkteteilung gab es an diesem Abend keine zwei Meinungen. Auch der Analyse von Urs Fischer war nicht zu widersprechen. »Mit mehr Entschlossenheit und Effizienz wäre ein Sieg möglich gewesen«, sagte Unions Trainer mit einem Lächeln auf den Lippen. Eine besonders überraschende Statistik gibt dem Schweizer Recht: Seine Spieler schossen sechs Mal auf das Tor von Manuel Neuer. Dem so übermächtig daherkommenden Gegner indes gelangen nur fünf Abschlüsse auf den Kasten von Schlussmann Andreas Luthe.

Für den FC Bayern stellen nunmehr zwei sieglose Bundesligaspiele in Folge schon eine Negativserie dar. Alarmierend ist derzeit vor allem das Defensivverhalten: 17 Gegentreffer nach elf Spieltagen kassierte eine Münchner Mannschaft zuletzt vor 39 Jahren. Gut, dass da einer wie Manuel Neuer im Tor steht - schon in der ersten Spielminute hatte er gegen Unions sehr starken Stürmer Taiwo Awoniyi einen Rückstand verhindert und hielt im Laufe der Partie zumindest den einen Punkt fest. Gut auch, dass ganz vorn einer wie Robert Lewandowski spielt, der seine kurzzeitig abhanden gekommene Zielsicherheit gegen Union wiedergefunden hat. Eine der wenigen Münchner Großchancen nutzte der gewohnt effiziente Pole und traf mit seinem 13. Saisontor zum Ausgleich (67.).

Grundsätzliche Zweifel an den Bayern sind noch nicht angebracht, weil sie um ihre Probleme wissen und einen wie Hansi Flick an der Seitenlinie haben. Der Trainer spricht offen und ehrlich die Fehler an: »Wir müssen auch unter Druck an unsere Qualität glauben.« Und nach dem Abpfiff hatte er auch seine Ruhe wiedergefunden: »Es wird eine schwere Saison, das haben wir vorher gewusst.«

Für den 1. FC Union ist dieses Unentschieden von größerer Bedeutung. Kapitän Christopher Trimmel formulierte es nach dem Spiel so: »Heute haben wir sehr gut gespielt und einen wichtigen Schritt nach vorne gemacht.« Da ist natürlich dieser eine Punkt gegen den FC Bayern, den nicht allzu viele Konkurrenten holen werden - und das mit einem sehr selbstbewussten Auftritt.

Die Führung gelang Grischa Prömel schon in der vierten Minute. Die der zweiten Torchance folgende Ecke verwertete er per Kopf zum 1:0. Auch in der Folge blieben die Berliner offensiv gefährlich und defensiv dennoch stabil. Erst in der 43. Minute musste Andreas Luthe den ersten Ball parieren.Noch viel wichtiger ist die Gewissheit, dass die Mannschaft auch trotz vieler Ausfälle richtig gut funktioniert. Der mit seiner Erfahrung gewinnbringende Christian Gentner wurde nach langer Ausfallzeit erst in der Nachspielzeit eingewechselt. Auch zuletzt so unverzichtbare Spieler wie Max Kruse und Robert Andrich konnten ersetzt werden. Und als Kruse-Ersatz Marcus Ingvartsen noch in Halbzeit eins verletzungsbedingt ausgewechselt werden musste, fügte sich Cedric Teuchert nahtlos ein.

Dass derart Platz sechs in der Tabelle verteidigt werden konnte, ist das Verdienst von Urs Fischer. »Ich freue mich darauf, diese Arbeit noch länger hier fortzusetzen«, sagte der Trainer nach seiner Vertragsverlängerung am Dienstag vergangener Woche.

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