Staatlich geförderter Kaufrausch

Nach jüngsten Lockerungen müssen sich Italiener über Weihnachten wieder auf härtere Regeln gefasst machen

  • Anna Maldini, Rom
  • Lesedauer: 4 Min.

In der italienischen Presse Presse nennt man sie jetzt schon die »Merkel-Verordnung«. Gemeint sind die strengeren Regeln, die in den nächsten Tagen für die die Weihnachtszeit verabschiedet werden dürften. Das hat zur Folge, dass heute noch niemand weiß, was er denn nun in den Feiertagen machen darf und was nicht.

Bis Sonntag schien alles klar. Bei leicht rückläufigen Corona-Zahlen hatte die Regierung größere Lockerungen beschlossen: Auch die Regionen wie die Lombardei mit Mailand, die bisher aufgrund der vielen Fälle als »rot« mit besonders harten Regeln eingestuft worden waren, waren jetzt »gelb« oder höchstens »orange«. Der Einzelhandel wurde geöffnet, die Restaurants und Bars auch, zumindest bis 18 Uhr. Was das bewirkte, hätte eigentlich schon vorher jedem klar sein müssen: Am Sonntag waren die Einkaufsstraßen brechend voll und vor den Läden bildeten sich lange Schlangen, weil jeder jetzt noch Geschenke kaufen wollte. Das ging so weit, dass zum Beispiel in Rom zwei U-Bahn-Haltestellen in der Innenstadt geschlossen werden mussten, um die Menschen daran zu hindern, sich in den beliebtesten Straßen zu drängeln. Auch der Platz vor dem weltberühmten Trevi-Brunnen wurden gesperrt, weil offenbar viele, zu viele Römer plötzlich das unbändige Verlangen verspürten, sich doch mal wieder dieses Wahrzeichen ihrer Stadt anzusehen...

Die plötzliche Einkaufswut der Italiener im Einzelhandel hatte auch einen ganz profanen Grund. Um die Menschen dazu zu bringen, weniger mit Bargeld und mehr mit elektronischer Währung einzukaufen und so die Steuerhinterziehung einzudämmen, hat die Regierung ein ganz besonderes Programm aufgelegt. Das besagt, dass man bis zu 150 Euro gutgeschrieben bekommt, wenn man in diesen Tagen mindestens zehn Einkäufe mit Karte tätigt. Ausgeschlossen sind der Versandhandel und die Supermärkte. Und wenn man sowieso einkaufen muss oder will, dann doch lieber in den Geschäften - 150 Euro kann in dieser Zeit wirklich jeder gut gebrauchen.

Aber all das hatte die Regierung offenbar nicht einkalkuliert und deshalb häuften sich am Montag die »Beschimpfungen«, weil die Bürger die Abstandsregeln nicht eingehalten und die Kontakte nicht eingeschränkt hatten.

Und so wurde ins Auge gefasst, die Regeln doch wieder strenger zu fassen. Was das genau heißt, ist allerdings auch eine Woche vor Weihnachten noch nicht klar. Möglicherweise wird über die Feiertage ganz Italien wieder »rot« mit einer Ausgangssperre ab 22 oder sogar ab 18 Uhr. Auch die Restaurants, die ja »eigentlich« am Mittag geöffnet sein sollten, müssten dann schließen und die Gäste, die schon vor Wochen einen Tisch bestellt hatten, wieder »ausladen«. Das hieße außerdem, dass man ohne einen triftigen Grund nicht aus dem Haus darf oder eine dementsprechende Ausgangsbescheinigung braucht. Ausnahmen könnte es geben, wenn eine Person einen alleinstehenden, hilfsbedürftigen und einsamen Verwandten besucht... Ob - wie vorher geplant - wenigstens 8 Personen privat zusammenkommen dürfen oder ob die Hausstände nun doch rigoros getrennt bleiben müssen, ist auch noch nicht klar.

Obwohl oder gerade weil eigentlich noch gar nichts beschlossen wurde, häufen sich die unterschiedlichsten Stimmen von Politikern. Der Bürgermeister von Neapel Vincenzo de Luca zum Beispiel sagt mit apokalyptischem Ton, dass es »weitere 10 000 Tote« geben wird, »wenn wir Weihnachten wie üblich genießen wollen«. Der Chef der rechtsextremen Lega Matteo Salvini hingegen droht, alle erdenklichen Gericht einzuschalten, da es »ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit« sei, Weihnachten »zu verbieten«. Zu den Politikern kommen die Virologen und Epidemiologen, die ihre Zeigefinger drohend erheben und die Psychologen, die vor den Langzeitschäden eines neuen Lockdowns warnen - von den Vertretern des Einzelhandels und der Gastronomie ganz zu schweigen...

Und die »normalen« Italiener? Die meisten sind verwirrt, wütend oder resigniert. Einige habe beschlossen, sich um die neuen Verordnungen, wann immer sie auch kommen und wie sie auch aussehen mögen, nicht weiter zu kümmern oder sie zumindest nach eigenem Gutdünken zu interpretieren. Aber die meisten werden sich wohl auch diesmal an die neuen Regeln halten - Covid-19 mit den vielen Kranken, den vollen Intensivstationen und den vielen Toten ist einfach zu präsent.

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal