Staub zu Staub
Im Kampf gegen Bevormundung und Unterdrückung: »His Dark Materials«
Mit Literaturverfilmungen ist es so eine Sache: nicht alle sind mit dem Ergebnis zufrieden, gerade wenn Bestseller mit riesiger Fangemeinde für Kino, Fernsehen oder Streamingdienste bearbeitet werden. Philip Pullmans in mehr als 40 Sprachen übersetzte 90er-Jahre-Fantasy-Trilogie »His Dark Materials«, die gerade in die zweite Staffel geht, ruft auch den einen oder anderen langjährigen Fan auf den Plan, der oder die sich in irgendwelchen Foren über Details der von HBO und BBC produzierten Serie beschweren. Dabei bleibt die Serie relativ nah an der literarischen Vorlage dran.
Philip Pullman, der jetzt ein Vierteljahrhundert nach seinem Welterfolg an einer Folgetrilogie schreibt (zwei Teile sind 2017 und 2019 schon erschienen), ist sogar mit im Boot bei BBC und HBO. Immer öfter werden die Autoren der literarischen Vorlage auch als ausführende Produzenten beschäftigt, was bei Serien wie »The Good Lord Bird« zusätzliche literarische Glaubwürdigkeit erzeugen soll. In »His Dark Materials« sind es aber in erster Linie die Schauspieler, allen voran die fünfzehnjährige Dafne Keen als rebellierender Teenager Lyra Belacqua in einem parallelweltlichen Oxford, die dem literarischen Stoff kongenial Leben einhauchen.
In den neuen Folgen begleiten wir Lyra und ihren Freund Will auf der Flucht vor dem Magisterium, einem autoritären kirchlichen Staatsapparat, der jede Kritik unterdrückt und mit harter Hand regiert. Gleichzeitig versucht Lyra herauszufinden, was es mit dem geheimnisvollen »Staub« auf sich hat. Zu dieser Substanz, die Portale in andere Welten öffnen kann, hatte auch schon ihr vom Magisterium verfolgter Vater geforscht.
Lyra lebt in einer Parallelwelt, in der jeder Mensch einen Dämon hat, ein sprechendes Tier als eine Art Seelenbegleiter, das in der Kindheit mal Wiesel, dann Rabe oder Wolf sein kann und erst im Erwachsenenalter eine beständige Form annimmt. Aus dieser an das 19. Jahrhundert erinnernden Welt voller Magie, in der Hexen gegen das Magisterium kämpfen und Eisbären in eigenen Königreichen leben, tritt Lyra durch ein Portal in unsere Welt hinüber. Der »Staub«, so lernt sie an der Universität von Oxford, heißt in unserer wissenschaftsbasierten Welt »Dunkle Materie«. Nur ist das in Pullmans Epos eine fühlende und denkende Substanz, die Durchgänge in andere Paralleluniversen öffnen kann. Und durch diese Portale schreiten Lyra und Will in ihrem Kampf gegen Bevormundung und Unterdrückung, wobei die junge Frau vor allem alten bornierten Männern das Fürchten lehrt.
Philip Pullmans zwischen 1995 und 2000 erschienene Trilogie ist eine Bearbeitung von John Miltons Versepos »Paradise Lost« aus der Mitte des 17. Jahrhunderts. Das Original erzählt die Geschichte gefallener und rebellierender Engel, wobei der Text eine explizit politische Bedeutung hat und Miltons Parteinahme für Oliver Cromwell und gegen die Monarchie verarbeitet. Pullmans »His Dark Materials« - der Titel ist ein Zitat aus »Paradise Lost« - ist eine postmoderne Adaption des Stoffs für Teenager, die neben einer Coming-of-Age-Geschichte vor allem eine radikale Kritik an einem autoritär-kirchlichen System übt. Als der Autor seine Bücher, in denen auch Anleihen aus der Bibel, Dantes »Inferno« und William Blake zu finden sind, schrieb, hatte die Kirche in Westeuropa noch einen weitaus größeren Einfluss auf lebensweltliche Fragen als heute. Wobei in jüngster Zeit von den USA über Brasilien bis in diverse Länder Osteuropas im Zuge einer rechten Mobilmachung autoritäre kirchliche Positionen gerade wieder zur ideologischen Zurichtung der Jugend genutzt werden, was dem Stoff plötzlich hohe Aktualität verleiht.
Abgesehen von diesem politischen Anspruch, schafft es die Koproduktion von BBC und HBO, diese Perle gesellschaftskritischer Fantasy spannend umzusetzen. Ein Stück weit hat das auch mit guter Tricktechnik zu tun, um die fantastischen Elemente überzeugend in Szene zu setzen - egal, ob es die Durchgänge zwischen den Welten sind, oder die in Rüstungen steckenden Eisbären, die auf Seiten Lyras kämpfen. Bereits vor gut zehn Jahren gab es den Versuch einer Verfilmung der Trilogie, wobei die Umsetzung, starbesetzt mit Nicole Kidman und Daniel Craig, die Religions- und Kirchenkritik fast völlig außen vor ließ. Was einmal mehr zeigt, dass die Miniserie eine adäquate Form ist, um literarische Stoffe zu adaptieren.
»His Dark Materials«, auf Sky.
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