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  • Medizinisches Angebot

Neue Praxis für Transpersonen

Niedrigschwelliges medizinisches Angebot soll Versorgungsengpass beheben

  • Isabella Caldart
  • Lesedauer: 4 Min.

Für den hormonellen Part der Transition eine fachkundige wie sensible Behandlung zu finden, stellt Transmenschen vor große Herausforderungen - selbst in einer Stadt wie Berlin. »Die meisten auf der Liste nahmen keine neuen Patient*innen an«, beschreibt Transaktivist und Wahl-Berliner Linus Giese in seinem Buch »Ich bin Linus« die Suche nach einer geeigneten Arztpraxis. »Nach jedem Anruf fühlte ich mich ein Stück weit verzweifelter: Da hatte ich endlich das Indikationsschreiben, doch dann bekam ich einfach keinen zeitnahen Termin.«

Individuelle Beratung

Die im vergangenen Oktober im Neuköllner Schillerkiez eröffnete »ViRo Praxis« trägt einen wichtigen Teil dazu bei, Transpersonen diesen Schritt zu erleichtern. Als eine der wenigen Arztpraxen Deutschlands bieten Elena Rodríguez und Martin Viehweger*, der seinen Namen mit einem Sternchen versieht, um zu signalisieren, dass er offen ist für Geschlechtervielfalt, ein solches Angebot für Transpersonen an. Auf der Website wird offen ausgewiesen, dass sie neben dem Schwerpunkt auf Infektionen und sexueller Gesundheit einen weiteren Fokus auf den medizinischen Support von Transmenschen legen, mit ganz individuell angepasster Beratung, versteht sich. Natürlich: Mit diesem Anliegen, also mit einer Hormontherapie, kann man im Prinzip in jede x-beliebige Arztpraxis gehen. Und doch ist es ratsam, sich an Fachärzt*innen mit entsprechenden Kompetenzen zu wenden. Viehweger* bringt es auf den Punkt: »In einer Bar kann man sich mit dem Barkeeper zwar über Steaks unterhalten, bekommen wird man aber nur einen Cocktail und eben kein gutes Steak.«

Martin Viehweger* kennt sich in der Szene aus. Die letzten zwei Jahre hatte er dabei geholfen, im Gesundheitszentrum Checkpoint Zürich (vergleichbar mit dem Checkpoint in der Berliner Hermannstraße) ein Zentrum für Transmedizin aufzubauen. Er ist aber nicht nur Arzt, sondern auch queerer Aktivist. Seit vielen Jahren geht er mit niedrigschwelligen Community-Projekten auf Festivals oder in Bars, um gemeinsam mit Nichtregierungsorganisationen oder mit Akteur*innen der Szene offen über Drogen und Sex zu sprechen. Die so Fortgebildeten sollen ihr neues Wissen weiterverbreiten. Eine Arbeit, die derzeit ruht, die er aber, sobald sich die »ViRo Praxis« etabliert hat, wieder aufnehmen möchte. Diese ist, aufgrund ihrer infektiologischen Ausrichtung, im Moment sehr mit Covid-19 beschäftigt. »Wir haben drei Blöcke mit Covid-Abstrichen«, erläutert Viehweger*, »aber sonst konzentrieren wir uns auf andere Inhalte!« Trotz dieser besonderen Umstände beobachtet er in den ersten drei Monaten seit der Öffnung der Praxis, dass die Nachfrage groß ist. Das Bedürfnis von Transpersonen von Expert*innen begleitet zu werden, ist offenbar sehr ausgeprägt. »Zu uns kommen sowohl Menschen noch vor ihrem Outing, die sich beraten lassen wollen, weil sie ihre Informationen teilweise nur aus Internetforen haben, als auch jene, die bereits ein volles Outing hatten und lediglich die Fortsetzung supportiver Hormonvergabe benötigen.«

Damit sich das Klientel nicht nur medizinisch, sondern auch im Umgang optimal aufgehoben fühlt, haben Viehweger* und Rodríguez das Personal am Empfang eigens geschult, denn: »Viele Transmenschen fühlen sich beim Empfang schnell diskriminiert, etwa, weil sie falsch gelesen werden.« Ihre Kolleg*innen in eine transsensible Sprache einzuführen, war mitunter eine kleine Herausforderung, sagt Viehweger*. »Das sind teilweise Menschen, die in ihren vierzig Jahren Arbeitsleben nie nach Pronomen gefragt haben, da ist es natürlich neu und ungewöhnlich, das zu tun. Sie schaffen es nicht immer, aber wir alle geben uns viel Mühe und ich hoffe, das sieht man.«

Niedrigschwelliges Angebot

Zu der Ansprache gehört ein weiterer Punkt: Die Website ist dreisprachig (Deutsch, Englisch, Spanisch). »Das ist extrem wichtig«, so Viehweger*. »Die Community ist international. Dadurch braucht es gerade in Berlin ein vielsprachiges Angebot.« Stellt sich noch eine Frage: Wieso eine Praxis mit dieser Spezialisierung in Berlin eröffnen und nicht etwa in Brandenburg? »Ich bin mir sicher, es macht Sinn, in allen größeren Ballungsgebieten, in denen Menschen bestimmter Subkulturen leben, solche Zentren aufzubauen«, sagt Viehweger*. Berlin habe eine sehr hohe Nachfrage bei zu wenig Angebot, wie er weiß. »In Neukölln gibt es nicht viele infektiologische Schwerpunktpraxen, die Menschen mit HIV oder Hepatitis oder sexuelle Kulturen begleiten.« Diese Lücke soll geschlossen werden.

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