Kampagne mit Fehlstart

Die französische Opposition attackiert die Regierung wegen »Impfskandal«. Mit 60 Prozent Impfverweigerern hält das Land einen Negativrekord

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.

Nachdem kurz nach Weihnachten der Auftakt der Impfungen gegen Sars-CoV-2 mit einer Pflegeheiminsassin medienwirksam inszeniert worden war, waren acht Tage später in ganz Frankreich erst 320 Menschen geimpft. Zum selben Zeitpunkt waren es in Italien schon 85.000, in Deutschland 200.000 und in Großbritannien sogar eine Million. Inzwischen wurden zwar insgesamt 4.000 Franzosen geimpft, aber der Abstand zu den Nachbarländern wird immer größer. Mit diesem Vorwurf an die Regierung versuchte die Opposition in diesen gewöhnlich ereignisarmen Tagen des Jahresanfangs in der öffentliche Debatte Punkte zu sammeln.

Dies umso mehr, als es den zuständigen Ministern und Behörden schwer fällt, den mehr als schleppenden Start zu begründen. Dabei verfügt das Land bereits über 500.000 Dosen aus der Produktion von Biontech/Pfizer, auch in Frankreich der einzige bisher zugelassene Impfstoff. In diesem Zusammenhang unterstellt die Opposition der Regierung, sie habe zu wenig Impfstoff bestellt. Gesundheitsminister Olivier Véran erklärte, es werde keine Impfpflicht geben und man habe zunächst das Schwergewicht auf die »Pädagogik« gelegt. Gemeint ist die Aufklärung vorab, also Erläuterungen zum Nutzen der Impfung sowie zur wissenschaftlich geprüften Zuverlässigkeit und Verträglichkeit des Impfstoffes. Diese scheinen dringend nötig, denn mit 60 Prozent Skeptikern, die sich nicht impfen lassen wollen, liegt Frankreich an drittletzter Stelle in Europa vor Serbien und Bosnien. Die Regierung will die Zustimmung von 60 Prozent der Bevölkerung erreichen, denn für eine zuverlässige Virusabwehr müsste mindestens dieser Anteil geimpft sein.

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Davon ist man aber noch weit entfernt. Den nachsichtigen Umgang mit den Impfgegnern macht die Opposition als einen der Gründe für den Fehlstart der Impfkampagne aus. Hinzu kommen Verzögerungen etwa durch die Vorschrift, dass jeder Impfung die Untersuchung durch einen Arzt vorangehen muss und dass auch ein Arzt bei der Impfung zugegen sein muss, um bei eventuellen Allergiereaktionen eingreifen zu können. Damit ist die Idee hinfällig, zur Beschleunigung der Kampagne könnten auch Apotheker oder selbstständige Krankenpfleger impfen. In den Altenpflegeheimen kommt erschwerend hinzu, dass viele Insassen die Tragweite der Frage, ob sie sich impfen lassen wollen, nicht mehr erfassen. Hier muss erst die Zustimmung der Familien eingeholt werden. In größerem Umfang soll in Altenpflegeheimen, Krankenhäusern und Gesundheitszentren geimpft werden.

Die Idee von Impfzentren in Messe- und Sporthallen wurde von der Regierung verworfen. Den Politikern sitzt noch die Kritik an den Massenimpfungen während der SARS-Epidemie 2002/2003 in den Knochen, als es auch in Frankreich Massenimpfzentren gab und diese überhaupt nicht funktionierten. Sie waren schlecht organisiert, so dass es zu lagen Wartezeiten kam, oder sie wurden - als sich das herumgesprochen hatte - kaum noch aufgesucht. Darum setzen die Gesundheitsbehörden jetzt darauf, dass sich die Masse der impfwilligen Franzosen zu ihren Hausärzten begibt. Diese sind aber auch so meist schon voll ausgelastet. So scheint absehbar, dass sich die Impfkampagne über das ganze Jahr und darüber hinaus erstreckt. Vorläufig ist geplant, dass bis Ende Januar zunächst die Insassen von Altenpflegeheimen geimpft werden sowie Ärzte und Pflegepersonal, die mit Alten und Corona-Patienten zu tun haben. In der zweiten Etappe sollen ab Anfang Februar bis Ende März auch Senioren mit chronischen Krankheiten geimpft werden, sowie die übrigen Ärzte, Schwestern und Pfleger. Ab März folgt dann der Rest der Bevölkerung und bis Mitte des Jahres soll die Kampagne im wesentlichen abgeschlossen sein. Ob dieser Zeitplan eingehalten werden kann, darf bezweifelt werden.

Präsident Emmanuel Macron hat in seiner Neujahrsansprache im Fernsehen gewarnt, er werde »kein schleppendes Impfen hinnehmen und keine Ausreden gelten lassen«. Die Opposition schlachtet das Thema maximal aus, spricht von einem »Impfskandal« und vergleicht ihn mit dem Desaster zu Anfang der Epidemie im letzten Frühjahr, als der Mangel an Masken und Tests von der Regierung »kleingeredet« wurde. Beiden Seiten ist klar, dass mit einem Erfolg oder Misserfolg bei der Bekämpfung der Corona-Epidemie schon die Weichen für die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2022 gestellt werden.

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